Vor vielen Jahren, im September-Oktober 1987, erlebten wir einen globalen Crash an den Aktienmärkten. Der Index S&P 500 verlor an nur einem Tag 27%. Plötzlich wurden in der Presse allerorts Unkenrufe laut, die uns erklärten, dass die finale Krise das Kapitalismus begonnen habe und das bisher Gesehene noch gar nichts sei.
Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, veröffentlichte Milton Friedman Ende Oktober 1987 im Wall Street Journal einen Artikel, der zum Totlachen war. Der Inhalt war wie folgt: Bis September 1987 hatte Friedman in seiner langen Karriere eine beachtliche Menge an Dummheiten gehört oder gelesen, wenn in den Zeitungen und anderen Medien über die Wirtschaft berichtet wurde, aber all dies sei nichts verglichen mit dem, was er nun anlässlich des Crashs zu lesen bekam. Dieser würde nämlich langfristig keinerlei wirtschaftliche oder finanzielle Folgen haben. Die Zukunft sollte ihm selbstredend Recht geben.
Warum erzähle ich diese Anekdote? Ganz einfach: Wenn ein wichtiges, neues Wirtschaftsereignis eintritt, ist die Qualität der anschließenden Berichterstattung im Allgemeinen sehr gering und steht in einem umgekehrten Verhältnis zur Anzahl der veröffentlichten Kommentare. Ich sage meinen Lesern immer wieder, dass es für die künftige Entwicklung ihrer Ersparnisse sehr gefährlich sein kann, die Finanz- oder Wirtschaftskommentare der großen Pressehäuser zu lesen. Wenn der entsprechende Journalist oder Ökonom kompetent wäre, würde er längst an den Finanzmärkten arbeiten, ein Top-Gehalt beziehen und wäre schon lange nicht mehr bei seiner Bank oder seiner Zeitung…
Eines dieser bedeutenden Wirtschaftsereignisse erleben wir gerade: Die Inflation kehrt zurück, und schon erscheinen überall entsprechende Kommentare, einer nutzloser als der andere. Aus diesem Grund möchte in diesem Artikel nun zuerst erklären, was die Inflation nicht ist, was sie in Wirklichkeit ist, und schließlich welche Folgen sie für die Wirtschaft und die Finanzwelt haben wird.
Beginnen wir mit dem, was die Inflation nicht ist
Erstes Postulat: Die Inflation hat nichts mit den Preiserhöhungen zu tun. Stellen wir uns vor, dass die Lebensmittelpreise explodieren, weil die Ernten in den USA, in Russland und in Frankreich entsetzlich ausfielen. Stellen wir uns außerdem vor, dass der Iran die Straße von Hormus vermint und blockiert hat und sich der Ölpreis verdoppelt, während die chinesischen Exporte infolge einer Pandemie zum Erliegen kommen, weil die Häfen geschlossen sind. Ich kann dem Leser versichern, dass die Preise unter diesen Voraussetzungen weltweit stark steigen würden. Der Lebensstandard würde vorübergehend zurückgehen, weil das reale Einkommen des durchschnittlichen Bürgers sinkt. Es handelt sich in diesem Szenario jedoch nicht um Inflation, weil die Ernten im darauffolgenden Jahr wieder normal ausfallen würden und die Straße von Hormus von den Streitkräften der USA oder Belgiens (das ist ein Witz) wieder geöffnet würde, während die chinesischen Exporte ihr altes Niveau erreichen.
Es würde sich also um eine rein temporäre Preiserhöhung handeln, die sich einige Zeit später wieder normalisiert. Dies konnten wir beispielsweise Ende der 1940-er Jahre und Anfang der 1950-er Jahre erleben, als die „freie“ Welt nach dem Umsturz in Prag und dem Koreakrieg wieder aufrüstete. Eine Zeit lang, die durchaus mehrere Quartale dauern kann, beobachten wir enorme Preisänderungen, aber wenn die Produktion wieder anläuft, findet alles in geordnete Bahnen zurück und die Preise normalisieren sich. In gewisser Weise haben wir diese Art der Preiserhöhungen seit dem Beginn der Corona-Krise erlebt und es steht zu hoffen, dass die Preise bestimmter Güter (wie z. B. Bauholz oder Halbleiter) in absehbarer Zukunft wieder auf ihr normales Niveau sinken. Bezeichnen wir dieses Phänomen also als „vorübergehende“ Preiserhöhung.
Was die Inflation wirklich ist
Kommen wir darauf zurück, was Milton Friedman gesagt hat: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.“ Dieser Satz ist viel komplexer als er scheint. Milton drückt damit aus, dass es immer etwas mit der Währung zu tun hat, wenn die Preise alle gemeinsam steigen.
Die Währung ist betroffen, weil der Staat, der sie ausgibt, seine in der Vergangenheit aufgenommenen Schulden nicht mehr bedienen oder zurückzahlen kann. Der Staat oder seine Zentralbank (was auf das gleiche hinausläuft) entscheidet also, dass seine Währung nicht länger ein Wertspeicher ist (eine der drei Grundfunktionen jeder Währung, nach Wertmaß und Tauschmittel). Der beste Weg, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, ist selbstverständlich, die Staatsschulden mit wertlos gewordenem Geld zurückzuzahlen und die Entlohnung der Sparer zu beenden, indem man negative Realzinsen auf Staatsanleihen zahlt.
Prüfen wir das nach:
Die grün hinterlegten Abschnitte stimmen mit den Zeiten überein, in denen die US-Notenbank Fed die Sparer enteignen will und eine Geldpolitik der Inflation verfolgt.
Es handelt sich aktuell um die dritte Phase inflationärer Geldpolitik seitens der Fed innerhalb der letzten 80 Jahre:
- 1941 bis 1955, Weltkrieg, Beginn des Kalten Krieges. Gemessen an der Kaufkraft ihres Kapitals verlieren die Sparer 52 %. Der Staat muss umso weniger zurückzahlen.
- 1960 bis 1980, Vietnamkrieg, „Great-Society“-Reformen von Präsident Johnson, Ankunft der Babyboomer auf dem Arbeitsmarkt. Der Lebensstandard der Rentiers sinkt während dieser Zeit um 20 %.
- Seit 2003 ist der Lebensstandard der Rentiers ebenfalls um 20 % gesunken, und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.
Kommen wir zurück zur Grafik: Immer, wenn die Realzinsen negativ werden, sehen wir ungefähr zwei Jahre nach Beginn der inflationistischen Geldpolitik eine allgemeine Beschleunigung der Preiserhöhungen (zuerst im Anstieg der Preise über zwölf Monate und dann im Anstieg der Preise über vier Jahre). Alle Preise beginnen gleichzeitig zu steigen.
Auch wenn viele etwas anderes behaupten, ähnelt die Erfahrung der letzten Jahre durchaus früheren Zeitabschnitten: Seit 2003 werden Phasen struktureller Inflation von zyklischen Baisse-Phasen unterbrochen, welche die Folge von Rezessionen wie 2009, 2012 (in Europa) und 2020 sind (siehe zweite Grafik).
Doch die allgemeinen Preiserhöhungen fallen gerade in den Sektoren stärker aus, die für die Haushalte mit dem geringsten Einkommen am wichtigsten sind. Während meiner Zeit als Student in den USA wendete ich 1/3 meines Einkommens für Lebensmittel auf, 1/3 für Miete und 1/3 für Energiekosten. Das scheint die Norm zu sein für die ärmsten Haushalte, die ich meine, wenn ich von den „Gelbwesten“ spreche. Nun sind aber – aus naheliegenden Gründen – gerade die Lebensmittel-, Immobilien- und Energiesektoren am anfälligsten gegenüber der Inflation und verbuchten in jeder der inflationären Phasen die stärksten Teuerungen.
Das bedeutet, dass die einkommensschwächsten Haushalte während der Inflationsschübe den stärksten Rückgang ihres Lebensstandards erleben. Inflationspolitik ist ein direkter Angriff auf die Ärmsten einer Gesellschaft, was ich persönlich vollkommen inakzeptabel finde. Wie John Rawls, der vor einigen Jahren verstorbene amerikanische Philosoph, gesagt hat, ist ein System dann gerecht, wenn der Lebensstandard derjenigen, die ganz unten stehen, in absoluten Zahlen gemessen im Laufe der Zeit steigt. Eine Gesellschaft, in der der Lebensstandard der Mittellosen dauerhaft abnimmt, bereitet sich selbst eine schmerzhafte Zukunft. Das ist allerdings genau die Situation, in der wir uns in den USA und in Frankreich befinden.
Für die „Gelbwesten“ in den USA haben sich die Preise in den letzten 12 Monaten um fast 13 % erhöht – eine erhebliche Zunahme.
Das führt mich zum letzten Punkt.
Die katastrophalen Folgen der Inflationspolitik
Inflationspolitik ist im Grunde genommen immer katastrophal, von Anfang an. Es stellt sich unmittelbar die folgende Frage: Welche Gründe können eine Zentralbank dazu bewegen darauf zurückzugreifen, wenn doch alle wissen, dass das Ende einer Inflation immer eine außerordentlich schwierige Zeit ist?
Warum sollte man eine zum Scheitern verurteilte Strategie verfolgen? Es gibt zahlreiche Gründe, und sie schließen sich nicht gegenseitig aus:
- Inkompetenz: Möglicherweise ein akzeptabler Grund in Simbabwe, aber nicht in den USA oder in Frankreich.
- Ideologie: Viele linke Politiker verfolgen das millenaristische Projekt der Auslöschung des Kapitalismus. Inflation ist der sicherste Weg, um Produktionsmittel vom Privatsektor an den Staat zu übertragen. Ein echter Sozialist hätte daher automatisch das Ziel, die Währung zu zerstören, da dies die schnellste und sicherste Methode ist, den Privatsektor ans Ende zu bringen.
- Feigheit: Geld ist der Abwasserkanal unverdienter Rechte, sagte der Ökonom Rueff. Diese unverdienten Privilegien weiterhin zu verteilen ist selbstverständlich nur möglich, wenn man aufhört, diejenigen zu entschädigen, die in der Vergangenheit Geld verliehen haben. Das ist auch als Ponzi-System oder Madoff-Methode bekannt. Ich denke in diesem Zusammenhang an die französischen Lebensversicherungen.
- Korruption: Diejenigen, die die Zentralbank kontrollieren, geben Geld aus, von dem sie wissen, dass es schon bald nichts mehr wert sein wird, um sich der Güter zu bemächtigen, die immer etwas wert sein werden. Diese Methode wurde von Heinrich VIII in Großbritannien und während der Französischen Revolution (Assignaten) angewendet, um sich die Güter der Kirche anzueignen, außerdem von den französischen Sozialisten im Jahr 1981 und von den großen amerikanischen Geschäftsbanken seit 2003.
- Der Wunsch, eine Institution am Leben zu erhalten, die beerdigt werden sollte: Dabei denke ich an den Euro, der – obwohl er bereits 2012 hätte verschwinden sollen – künstlich am Leben erhalten wird, indem man seitdem negative nominale Zinssätze durchsetzt, was in der Geschichte beispiellos ist.
In Frankreich, wo wir ein Beamtenwesen haben, um das uns die ganze Welt beneidet und das zudem die Staatsgeschickte lenkt, praktizieren wir seit mindestens 1981 alle fünf Wege uns zu ruinieren, ohne eine einzige Methode unerprobt zu lassen. Wir steuern direkt auf ein Desaster zu. Da die Minuszinsen eine Steuer auf die Ersparnisse darstellen, kommt dies einer Verringerung dieser Ersparnisse gleich. Es ist daher weniger Investitionskapital verfügbar (Ersparnisse = Investitionen), wodurch die Investitionen einbrechen. Die Produktivität und der Lebensstandard eines jeden Bürgers im Lande folgen der Investitionstätigkeit nach unten, aber auch die Fähigkeit zur Rückzahlung früherer Schulden verschwindet.
Auf diese Weise hat sich der Lebensstandard in Argentinien, der 1946 weltweit auf Platz 2 lag, bis heute auf einen der niedrigsten der Welt verringert.
Auf diese Weise ist auch der Lebensstandard in Frankreich, in Europa, von Platz zwei im Jahr 1973 auf Platz elf im Jahr 2020 abgerutscht.
Der Weg in Richtung Knechtschaft ist weitgehend frei. Vorwärts! Alle Ampeln stehen auf grün!
Originalquelle: Institut Des Libertés | Think Tank
Die vollständige oder teilweise Vervielfältigung ist gestattet, sofern sie alle Text-Hyperlinks und einen Link zur ursprünglichen Quelle.