BRICS – ein Akronym, das immer wieder in der öffentlichen Debatte auftaucht. Die BRICS sind in erster Linie eine Organisation, die von mehreren Ländern mit dem Ziel gegründet wurde, den Wandel hin zu einer multipolaren Welt zu beschleunigen. Eine Welt, die sich der seit Jahrzehnten bestehenden internationalen Ordnung widersetzt. Eine Welt, die unilaterale Wirtschaftssanktionen ablehnt. Eine Welt, die die Dominanz der westlichen Finanzinstitutionen in Frage stellt. Eine Welt, die das Recht des Stärkeren beenden will, doch nur einseitig. Doch wohlklingende Slogans reichen nicht aus, diese tiefgreifende Umformung braucht sowohl Zeit als auch geeignete Strukturen. Seit einigen Jahren versuchen die BRICS-Staaten den Wandel zu beschleunigen. Im Finanzbereich versuchen sie, ihre Wirtschaft zu entdollarisieren, andere nationale Währungen zu fördern, ein neues Kommunikationssystem ähnlich dem SWIFT-System zu schaffen und nicht zuletzt die neuen Kreditgeber der Welt zu werden. Im Zusammenhang mit dem letzten Punkt strebt die Neue Entwicklungsbank (New Development Bank) oder BRICS-Bank danach, dem IWF und der Weltbank Konkurrenz zu machen. Doch hat sie überhaupt die Mittel dazu?

Der Einfluss der BRICS-Staaten wächst stetig. Ihr Kreis beschränkt sich nicht mehr auf nur fünf Mitglieder, sondern wurde kürzlich auf zehn erweitert, und der neue Name BRICS+ erinnert an die OPEC+. Nach Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika mischen sich nun neue Regionalmächte wie Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate unter die Gruppe, sowie Länder, für die die Mitgliedschaft von strategischer Bedeutung ist – wie Ägypten und Äthiopien, die beide einen endlosen Wasserkrieg führen. Mit dieser Erweiterung ist das Gewicht der Organisation auf dem internationalen Schachbrett entschieden gewachsen. Zusammen machen diese Nationen fast 30 % des weltweiten BIP, 40 % der Ölproduktion, 25 % der globalen Exporte und fast die Hälfte der Weltbevölkerung aus, d. h. mehr als 3,5 Milliarden Menschen.

Die Neue Entwicklungsbank: Visionen und Ambitionen

Seit ihrer Gründung im Jahr 2016 verkörpert die Neue Entwicklungsbank die Finanzinstitution der BRICS. Sie wurde ursprünglich zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten in Entwicklungsländern ins Leben gerufen, richtet sich jedoch voll und ganz an der chinesischen Ideologie aus, die sich auf langfristige Perspektiven konzentriert. Der Sitz der Bank befindet sich übrigens in Shanghai.

Das Ziel ist klar: Die NDB (so der Name) will sich als Alternative zum westlichen Modell positionieren. Um dies zu erreichen, vermeidet sie es, die Mechanismen der dominierenden Finanzinstitutionen zu kopieren, da sie sonst Gefahr läuft, ebenfalls unauslöschliche Spuren zu hinterlassen. Insbesondere fordert sie keine verbindlichen Strukturreformen als Gegenleistung für die Kreditvergabe ein, weder aggressive Steuerreformen noch die Liberalisierung der Finanzmärkte noch die Deregulierung des Handels. Sie hat sich mehrere Ziele gesetzt: Erstens konzentriert sie sich auf die Finanzierung erneuerbarer Energien und strebt an, dass 60 % der Kredite in diesen Sektor fließen (im Strategiepapier für 2022-2026 wurde dies auf 40 % reduziert). Eine Entscheidung von strategischer Tragweite, wenn man bedenkt, dass die überwältigende Mehrheit der für diese Energiequellen benötigten Rohstoffe aus ihren Mitgliedsländern stammt, und dass die westlichen Länder versuchen, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Weltwirtschaft zu beschleunigen, während sie gleichzeitig historisch die größten Verschmutzer waren (heute entfällt allerdings die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die BRICS+). Zweitens – und dies ist Teil der gemeinsamen Bestrebungen, die Entdollarisierung voranzutreiben – versuchen die NDB-Mitgliedsstaaten, die Verwendung lokaler Währungen zu fördern. Während die Bank aktuell fast 22 % ihrer Kredite in Lokalwährungen vergibt, soll dieser Anteil bis 2026 auf 30 % der finanzierten Projekte anwachsen. Gleichzeitig möchte die NDB bis 2030 die Verwendung von Dollars bei der Kreditvergabe auf 70 % reduzieren und sie bei ihren künftigen Finanzierungen so weit wie möglich ausschließen. Dies ermöglicht nicht nur, die Schuldner vor dem Auf und Ab der US-Währung zu schützen, die bekanntlich immer wieder Wertschwankungen unterworfen ist, sondern auch einige noch wenig entwickelte nationale Märkte zu stärken. Die Entdollarisierung der Kredite würde den aktuellen Trend stärken, denn 65 % des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten werden bereits in Lokalwährungen abgewickelt.

Die Bank wächst rasant und ihr Kreditvolumen hat sich von nur einer Milliarde US-Dollar im Jahr 2017 auf heute über 20 Milliarden US-Dollar erhöht. Diese Entwicklung ist umso wichtiger, als sie sich dank insgesamt ausgezeichneter Kreditratings zu wettbewerbsfähigen Zinsen finanzieren kann, sei es das AAA der chinesischen Agenturen oder das AA+, das sie 2018 von den westlichen Agenturen Fitch und Standard & Poor's erhalten hat. Trotz ihrer erklärten Ambitionen bleiben die Mittel der NDB allerdings begrenzt. Mit einem Anfangskapital von 50 Milliarden US-Dollar (das auf 100 Milliarden US-Dollar aufgestockt werden soll) bleibt sie weit hinter dem IWF zurück, der über mehr als 1 Billion US-Dollar verfügt. Wie soll man damit konkurrieren?

Schließlich ist ihr Ziel nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein zutiefst geopolitisches (finanzielle Mittel sind lediglich die Ausgestaltung einer bestimmten Ordnung). Neben den fünf Gründungsmitgliedern gehören mittlerweile auch Bangladesch, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Algerien der Bank an, während Uruguay sich im Beitrittsprozess befindet. Diese Staaten ziehen nicht nur bei dieser Integration an einem Strang, sondern auch mit Blick auf ihre wirtschaftlichen Interessen, indem sie insbesondere ihre Verbindungen zu zahlreichen Entwicklungs- und Schwellenländern ausbauen. Darüber hinaus erweitert die Bank ihre internationale Präsenz durch neue Niederlassungen in Afrika, Amerika (Brasilien), Eurasien (Russland) und Südasien (Gujarat, Indien). Gleichzeitig werden weiterhin Projekte in zahlreichen Ländern finanziert. Dazu gehörten jüngst der Kredit in Höhe von 5 Milliarden Rand an Südafrika zur Reparatur des Schienennetzes für den Güterverkehr oder die Finanzierung zweier verschiedener Projekte in Bangladesch für insgesamt 700 Millionen US-Dollar, von denen eines auf die Verbesserung des bestehenden Gasnetzes in Dhaka und Narayanganj abzielt. Ein Projekt jagt also das nächste und sie konzentrieren sich in allen beteiligten Ländern auf deren langfristige Entwicklung.

Führung als zentraler Pfeiler der Institution

Eine kohärente Struktur ist auch das Werk einer durchsetzungsfähigen Führung. In dieser Hinsicht strebt die neue Direktorin Dilma Rousseff eine tiefgreifende Transformation der Bank an. Während die Führung in der Vergangenheit häufig wegen der zu langsamen Umsetzung der angekündigten Projekte in der Kritik stand, scheint sich das Blatt mit der neuen Amtszeit zu wenden. Dilma Rousseff, eine brasilianische Ökonomin und Politikerin, ist auch die ehemalige Kabinettschefin von Präsident Lula. Sie verfolgt die gleiche politische Linie wie ihr ehemaliger Kollege, der, wie wir uns erinnern, erklärt hatte: „Jeden Abend frage ich mich, warum alle Länder ihren Handel auf den Dollar stützen müssen“. Indem sie sich um die Aufnahme weiterer Länder in die NDB bemüht, will die neue Vorsitzende den Übergang zu einer Welt, die ohne den US-Dollar auskommt, beschleunigen und den dominierenden amerikanischen Institutionen echte Konkurrenz machen. Seit ihrem Amtsantritt als Präsidentin der Bank im Frühjahr 2023 verfolgt sie zudem weitere strategische Ziele, darunter die Unterstützung der Entwicklung afrikanischer Länder, die über ein unvergleichliches Potenzial verfügen. Außerdem will sie die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen ausbauen, insbesondere mit Entwicklungsbanken wie der Lateinamerikanischen Entwicklungsbank (CAF) und der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), um ihren Einfluss zu vergrößern. Vielfältige Baustellen also, die ab 2025 von der russischen Präsidentschaft übernommen werden. Der Wechsel des Vorsitzes wird einen Wendepunkt markieren, der umso wichtiger ist, als Russland, das vom westlichen Finanzsystem ausgeschlossen wurde, die institutionelle Entwicklung der BRICS beschleunigen möchte. Das Land hat bereits die Schaffung eines auf mehreren Währungen basierenden Systems vorgeschlagen, welches die Handelszentren für Rohstoff wie Öl, Gas und Gold umfassen soll.

Um mit ihrer politischen Linie im Einklang zu bleiben, verfügt die Neue Entwicklungsbank auch über einen einzigartigen Führungsmodus. Der Vorsitz der NDB wird abwechselnd und in vorgegebener Reihenfolge von jedem Land für eine Amtszeit von fünf Jahren übernommen (ähnlich dem Modell der rotierenden Präsidentschaft Europas). Jedes Gründungsland (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat zwar den gleichen Anteil am Stammkapital, aber im Gegensatz zum IWF gibt es kein Vetorecht. Im Internationalen Währungsfonds werden die Stimmrechte der einzelnen Länder subjektiv nach ihrem wirtschaftlichen und geopolitischen Gewicht in der Welt berechnet. Da die USA dort als größte Macht gelten, haben sie bei allen Abstimmungen ein Vetorecht. Auch in der New Development Bank ist der tatsächliche Einfluss der einzelnen Länder nicht gleich, denn die Struktur garantiert, dass die Gründungsmitglieder die Mehrheit der Stimmrechte behalten. Dennoch erscheint dieses Modell als „kleineres Übel“, da kein Land allein bestimmen kann.

Das Streben nach einer gemeinsamen Währung

Doch die Neue Entwicklungsbank strebt nach mehr. Seit mehreren Jahren hegt sie den Ehrgeiz, die Institution zu werden, die das kühne Projekt einer gemeinsamen Währung der BRICS-Staaten in die Tat umsetzen kann. Auf dem Gipfeltreffen 2023 in Südafrika wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Machbarkeit einer solchen Gemeinschaftswährung untersuchen sollte. Die optimistischsten Stimmen, wie die des brasilianischen Ökonomen Paulo Nogueira Batista, halten sogar eine Verwirklichung dieses Projekts in den kommenden Jahren für möglich, wenn potenzielle Fortschritte bereits auf dem BRICS-Gipfel Ende 2024 in Kasan, Russland, und anschließend auf dem Gipfel in Brasilien 2025 erzielt werden. Idealismus und Realismus sollten jedoch nicht verwechselt werden. Eine gemeinsame Währung erfordert auch eine gemeinsame Zentralbank. Und zum heutigen Tag bestehen tiefe Unterschiede nicht nur zwischen den Wirtschaftssystemen der NDB-Mitgliedsländer, sondern auch in der Funktionsweise ihrer Zentralbanken. Die Zentralbanken Russlands und Chinas werden beispielsweise vom Staat kontrolliert, während die Notenbanken von Brasilien und Südafrika unabhängig sind – ebenso wie die westlichen Zentralbanken. Bei seiner Umsetzung stößt dieses Vorhaben also auf beträchtliche Hindernisse, da viele BRICS-Staaten nicht bereit sind, ihre Währungshoheit aufzugeben, nicht zuletzt aufgrund ihres individuellen Machtstrebens. China, Russland und selbst Indien zeigen deutliche Vorbehalte. Indien steht zudem den westlichen Mächten nahe, insbesondere seit der Wiederwahl Modis. Trotz aller Erklärungen und Willensbekundungen der anderen Staaten besteht also wenig Hoffnung, dass Indien sich einem solchen Projekt anschließen würde.

Auch die eigenen Entscheidungen der Neuen Entwicklungsbank sind nicht frei von Widersprüchen. Die Bank wendet sich gegen die Unipolarität des Westens, hat aber die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland übernommen und vergibt keine Kredite mehr an das Land. Sie möchte schnell wachsen, aber in den neun Jahren ihres Bestehens sind ihr nur vier neue Länder beigetreten (außerdem veröffentlicht sie nur sehr wenige Informationen über die von ihr angebotenen Kredite und Finanzierungen). Sie lehnt den Dollar grundsätzlich ab, vergibt aber noch immer fast 70% ihrer Kredite in der US-Währung, wenngleich der Anteil der Kredite in anderen Währungen – wie dem Yuan oder dem südafrikanischen Rand – zunimmt. Dennoch sind die Kapazitäten groß, wenn man bedenkt, dass die Mitgliedsländer über hohe Währungsreserven verfügen, die sich durch jahrelange Handelsüberschüsse angesammelt haben. Allein China hält fast 3 Billionen US-Dollar, Indien 560 Milliarden und Brasilien 325 Milliarden. Langfristig wäre die Verwendung dieser Reserven zur Finanzierung der Projekte der Bank eine logische Alternative zur Kreditaufnahme auf den Märkten.

Alles in allem ist die Neue Entwicklungsbank derzeit nur eine sehr bescheidene Alternative zu den wichtigsten internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere der Weltbank und dem IWF. Da ihr Kapital nicht ausreicht, ihre Abhängigkeit vom Dollar zu groß ist, ihre Führung Schwächen aufweist und das Vertrauen in sie noch gering ist, beeinträchtigen zu viele Faktoren ihre Attraktivität. Angesichts ihrer großen Ambitionen sind ihre Mittel unzureichend. Aber die Zeit ist womöglich auf ihrer Seite. Denn die globalen Gleichgewichte werden neu ausbalanciert und die Geschichte scheint ihr Recht zu geben. Schließlich sind Revolutionen immer leise.

Die vollständige oder teilweise Vervielfältigung ist gestattet, sofern sie alle Text-Hyperlinks und einen Link zur ursprünglichen Quelle enthält.

Die in diesem Artikel bereitgestellten Informationen dienen rein informativen Zwecken und stellen keine Anlageberatung und keine Kauf- oder Verkaufsempfehlung dar.