Die enge Beziehung zwischen dem Goldpreis und dem Dollar ist wohlbekannt: Wenn der Kurs der US-Währung steigt, geht es für das gelbe Metall bergab. Seit einigen Jahren bringt das internationale Geschehen diese Regeln jedoch durcheinander. Die galoppierende Inflation, die Instabilität des Finanzsystems, die Deglobalisierung, die geopolitischen Spannungen, das sinkende globale Wirtschaftswachstum, die allmählich fortschreitende Entdollarisierung und andere große zeitgenössische Herausforderungen haben ein lebendiges Interesse an Gold entfacht. Diese Nachfrage scheint letztlich selbst dann bestehen zu bleiben, wenn der Dollar aufwertet.
Seit die Fed ab Mitte 2021 begann ihren Leitzins anzuheben (was seit 2018 nicht mehr geschehen war), ist der Kurs der US-Währung kontinuierlich nach oben geklettert. Die Erhöhung der Realzinsen auf amerikanische Staatsanleihen hat zu einer gesteigerten Nachfrage geführt, die dem Dollar zugutekommt.
Die internationalen Geschehnisse haben darüber hinaus einen Effekt, der sich als „Flucht in Qualität“ beschreiben lässt. Die Investoren verkaufen ihre als riskant bewerteten Assets, um sicherere Vermögenswerte zu erwerben, in erster Linie US-Treasuries.
Obwohl zahlreiche Länder US-Staatsanleihen abgestoßen haben (sei es, um ihre Abhängigkeit vom Dollar zu reduzieren, sei es, um ihre eigene Währung zu stützen und die Inflation zu begrenzen), hat der Dollar auf diese Weise im Vergleich zum Vorjahr gegenüber anderen wichtigen internationalen Währungen aufgewertet. Zwischen Mai 2021 und Oktober 2022 ist der DXY von 90 auf 110 gestiegen. Dieser Index misst die Entwicklung des Dollars gegenüber einem Korb aus sechs anderen Währungen (vor allem dem Euro, aber auch dem Yen, dem Schweizer Franken, dem kanadischen Dollar, dem britischen Pfund und der schwedischen Krone), die entsprechend ihrer Bedeutung für den amerikanischen Außenhandel gewählt wurden. Der Dollar hat darüber hinaus ein wichtiges Hoch verzeichnet, das höchste seit 20 Jahren. Im Zuge dessen hat er zudem – eine historische Situation – eine Zeit lang die Parität mit dem Euro erreicht.
Dollarkurs, Index DXY
Gold leistet mehr Widerstand denn je
Der Goldkurs hätte im gleichen Zeitraum logischerweise fallen müssen, weil sich sein Kurs im Allgemeinen entgegengesetzt zur US-Währung entwickelt. Doch dieses Mal kam es anders. Die Investoren waren auf der Suche nach Schutz vor der Inflation, die ab April 2021 an Fahrt aufnahm. Nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine ab Februar 2022 ging der Goldpreis nur einige Monate lang zurück, während der Dollar sein Hoch verzeichnete. Das Einfrieren der Devisenreserven Russlands veranlasste die Zentralbanken anschließend dazu, ihre Goldreserven massiv aufzustocken, um einen Vermögenswert zu halten, der von keiner ausländischen Macht abhängt. Zunehmende geopolitische Spannungen, insbesondere zwischen China und Taiwan, haben diesen Trend verstärkt. Unterstützt von den massiven Käufen der Notenbanken, aber auch von Investoren aus aller Welt, wurde der Goldkurs im Mai auf ein Hoch von mehr als 2000 US-Dollar je Unze katapultiert.
Goldkurs, Goldbroker.com
Die Dollar-Hausse war nicht von Dauer
Seit Ende des Jahres 2022 hat der Dollar fast 10 % eingebüßt und sein Kurs sinkt immer weiter. Die Märkte erwarteten schon seit mehreren Monaten, dass die Fed ihre Währungspolitik wieder etwas lockert, bzw. ihre Zinsanhebungen pausiert. Dieses Szenario hat sich bestätigt, als die US-Notenbank im Juni ankündigte, dass sie ihren Leitzins in den kommenden Wochen nicht erhöhen würde, bevor dann bis zum Jahresende 2023 noch zwei weitere Zinsschritte folgen sollen. Infolgedessen ist der Dollar in den letzten Monaten nach und nach gesunken.
Zudem haben die Vereinigten Staaten gleichzeitig ein Haushaltsdefizit (die Ausgaben übersteigen die Einnahmen) und ein Leistungsbilanzdefizit zu verbuchen (der Wert der Importe übersteigt den Wert der Exporte). Das drückt den Kurs der US-Währung zusätzlich nach unten.
Die Defizite sind übrigens ebenso hoch wie während der Finanzkrise 2008.
Außerhalb der USA hat der Rückgang des Dollars in verschiedener Hinsicht positive Folgen:
- Die Rohstoffe, insbesondere Energierohstoffe und Weizen, werden überwiegend (zu fast 90 %) in Dollar gehandelt. Eine Baisse des Dollars bedeutet daher automatisch auch einen Preisrückgang dieser Rohstoffe. Ebenso haben sich die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der Spekulationen abgeschwächt und auf diese Weise die Inflation gebremst. Die Kerninflation, die weder Lebensmittel- noch Energiepreise berücksichtigt, bleibt jedoch tief verwurzelt, und das in vielen Ländern.
- Die Zinskosten der in Dollar verschuldeten Staaten können je nach Entwicklung des Dollarkurses schwanken. Eine Abwertung des Dollars lässt den zu leistenden Zinsbetrag sinken. Doch der Kurs der US-Währung bleibt weiterhin erhöht und die wiederholten Zinsanhebungen durch die Fed haben den Schuldendienst für diese Länder mittel- und langfristig stark verteuert. (In einigen Staaten steht dadurch übrigens eine Schuldenkrise zu befürchten, wie in den 1980-er Jahren nach dem „Volker-Schock“ in Lateinamerika und Afrika.)
- Die sinkenden Kosten für in US-Dollar gehandelte Produkte kommen den importierenden Unternehmen zugute, insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen (mehr als die Hälfte aller weltweiten Importe werden in Dollar bezahlt). Und das in mehr als nur einer Hinsicht, denn auch die Kosten für den Seetransport per Container sind in den letzten Monaten zurückgegangen, nachdem sie zwischen 2021 und 2022 brutal angestiegen waren. (Manche Unternehmen konnten einen Tarifrabatt aushandeln, aber die wenigsten konnten dem Dollar entkommen und in einer anderen Währung bezahlen – die Absicherung von Kursrisiken verursacht nicht zu vernachlässigende Kosten.
- Gold profitiert ebenso und setzt seinen Aufwärtstrend fort. Das gelbe Metall zeigte im März eine starke Rally, als die Fed massiv eingriff, um das amerikanische aber auch das internationale Banken- und Finanzsystem zu stützen. Die Entscheidung der US-Notenbank im Juni für eine Zinspause war ebenfalls ein bullischer Faktor für Gold.
Wenngleich die US-Währung relativ stark bleibt, sollte sich der Abwärtstrend fortsetzen, dem sie seit einigen Monaten folgt. Der Konjunkturabschwung in den Vereinigten Staaten (es ist sehr wahrscheinlich, dass es bis Ende 2023 zu einer Rezession kommt) und die geldpolitischen Straffungen der anderen Zentralbanken sind die Hauptfaktoren, die den Dollar unter Abwärtsdruck setzen. Vor allem die EZB dürfte ihre Zinsen weiter erhöhen und dabei aufgrund der tief verwurzelten Inflation ein aggressiveres Vorgehen verfolgen als die Fed. Trotz allem versprechen die beiden kommenden Zinsschritte durch die US-Notenbank dem US-Dollar eine gewisse Widerstandsfähigkeit.
Im Endeffekt ist kurzfristig wenig Bewegung zu erwarten, doch mittelfristig wird der Dollar deutlicher an Boden verlieren. Auf lange Sicht ist ein Rückgang der amerikanischen Währung angesichts der fortschreitenden Entdollarisierung der Welt unvermeidlich. Die Fed wird sich gezwungen sehen, ihre Realzinsen auf einem erhöhten Niveau zu lassen, was die Kosten des Schuldendienstes in die Höhe treiben wird. Diese übersteigen übrigens schon jetzt das Budget des Verteidigungssektors, welches in den USA besonders hoch ist. Im kommenden Quartal werden die Zinskosten der Staatsschulden auf 1 Billion Dollar anschwellen, verglichen mit einem Militäretat von rund 800 Milliarden Dollar.
Diese Situation kann sich nur weiter verschlechtern, wie eine staatliche Behörde in einem, alles in allem, optimistischen Szenario darlegt: „Die Schulden werden sich im Verhältnis zum BIP erhöhen und 2053 181 % des BIP betragen. Eine derart hohe und steigende Verschuldung würde das Wirtschaftswachstum verlangsamen, die Zinszahlungen an die ausländischen Inhaber der amerikanischen Schuldverschreibungen erhöhen und erhebliche Gefahren für die Haushaltsplanung und die ökonomischen Aussichten mit sich bringen.“
Abgesehen von diesen Prognosen muss darauf hingewiesen werden, dass immer weniger andere Staaten das amerikanische Außenhandelsdefizit durch den Kauf von US-Staatsanleihen finanzieren. Dieser Trend zur Entdollarisierung ist vor allem bei den Ländern des globalen Südens und bei den BRICS-Staaten sehr ausgeprägt. Doch auch in Japan, obwohl man sich dort gar nicht unbedingt vom Dollar befreien will. Der Vorsitzende der japanischen Zentralbank verkauft seit einigen Monaten US-Treasuries, um den Yen zu stützen. Die europäischen Staaten, treue Käufer der US-Schulden, werden noch lange mit den Folgen der Gesundheitskrise und des Krieges in der Ukraine zu kämpfen haben. (Im Mai wies die Außenhandelsbilanz Europas weiterhin ein Defizit auf.) Angesichts der Inflation und der höheren Zinsen, die eine Abwertung bestimmter Aktiva und damit auch nicht realisierte Verluste mit sich bringen, kann die Fed die Staatsanleihen nicht mehr im gleichen Maße monetisieren wie früher. Die Regierung wird also folgenreiche Entscheidungen treffen müssen. Und die Zeit drängt, denn die US-Schulden steigen immer weiter: Innerhalb nur weniger Wochen haben sie sich um 2 Billionen Dollar erhöht – mehr als die gesamten Staatsschulden Spaniens.
Es bleibt wie schon immer von fundamentaler Bedeutung die Entwicklung des Dollars zu verfolgen, um zu wissen, wohin sich Gold entwickelt. In einem Artikel, der vor mittlerweile mehr als einem Jahr veröffentlicht wurde, weisen wir darauf hin, dass eine Beschleunigung der Entdollarisierung zu einer erhöhten Nachfrage nach Gold führen wird. Dieses Szenario ist heute aktueller denn je. Doch es scheint, als wäre das Interesse an physischem Gold immer weniger von der Entwicklung des Dollars abhängig. Angesichts der Vielzahl an Herausforderungen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, suchen die internationalen Investoren einen Vermögenswert des Vertrauens, der ihnen in erster Linie Schutz vor dem kontinuierlichen Wertverlust der Währungen bietet.
Gold wird noch lange glänzen…
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