Der Kapitalismus verspricht uns das Paradies, doch leben wir stattdessen in einer Hölle? Von welchem Fortschritt ist bei einem solchen Stand der technologischen Entwicklung heute noch die Rede? Kann wirtschaftliche Weiterentwicklung im Widerspruch zum Fortschritt des Menschen selbst stehen? Warum basiert der Erfolg der modernen Wirtschaft auf der Maximierung der Todsünden? Können diese Sünden Stärken sein, wenn man sie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet?

Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Wollust, Völlerei und Faulheit. So lauten die sieben Todsünden, die jeder kennt. Ihre Zahl wurde nicht zufällig gewählt: Die Zahl Sieben, das Zeichen für die Erschaffung der Welt, symbolisiert das Selbstverständnis... Diese Sünden sind in jedem Menschen vorhanden. Sie spiegeln ein Ungleichgewicht wider, da sie einen grundlegenden Punkt gemeinsam haben: das Übermaß.

Die moderne Wirtschaft funktioniert auf die gleiche Weise. Durch die Kommerzialisierung aller Dinge erneuert sie unsere Bedürfnisse in einem endlosen Wettlauf immer wieder aufs Neue. Sie entspricht dem von Marx so geschmähten Kreislauf von Geld, Ware und mehr Geld, in dem das Kapital eine Ware produziert, die wiederum mit Geld bezahlt wird. Und das in einer ständigen Wiederholung.

Die Waren und Dienstleistungen, die so in unbegrenzter Menge geschaffen werden, bringen sowohl das Beste als auch das Schlechteste hervor. Man findet sowohl Produkte aus biologischer Landwirtschaft als auch ultraverarbeitete Produkte, erneuerbare Energiequellen und fossile Brennstoffe, solidarische Banken und Hedgefonds, humanitäre Organisationen und Industrielobbys...

Heutzutage sind es jedoch tatsächlich die schlechtesten Innovationen, die am meisten wertgeschätzt werden. Sie sind am „erfolgreichsten“, zumindest gemäß der zeitgenössischen Interpretation von Erfolg, der hauptsächlich finanziell gemessen wird.

Die moderne Wirtschaft beutet also nicht nur die Arbeitskraft und die Natur aus. Indem sie menschliche Neigungen in Geschäftsmöglichkeiten verwandelt, nutzt sie auch unsere psychologischen Schwächen aus.

Wenn man genau hinsieht, ist der Erfolg der Wirtschaft in der Maximierung der Todsünden zu finden. Das geht so weit, dass die größten Unternehmen jede einzelne dieser Sünden symbolisieren.

Lassen Sie uns die Sünden einzeln betrachten.

  • Hochmut: Hochmut ist der Wille zur Allmacht. Er ist die größte aller Sünden und doch allgegenwärtig: Großunternehmen und Eliten zwingen der Welt ihre Regeln auf, neue Technologien überschreiten immer neue Grenzen (KI, Transhumanismus, Weltraumfahrt...), Wolkenkratzer werden höher und höher gebaut... Auf die eine oder andere Weise zeigt sich Hochmut in allen großen Unternehmen. Ob OpenAI, das eine Struktur schafft, die der menschlichen Intelligenz überlegen ist (die generative KI), Meta, das eine virtuelle Parallelwelt (das Metaversum) errichtet, oder Neuralink, das das menschliche Gehirn direkt mit Maschinen verbinden will – diese erfolgreichen Unternehmen symbolisieren die Überwindung aller menschlichen und natürlichen Grenzen.

  • Geiz: Geiz ist die übertriebene Anhänglichkeit an Geld. Die moderne Wirtschaft beruht jedoch auf dem ständigen Streben nach Profit. Die Anhäufung von Reichtum, Steueroasen oder exzessive Spekulationen sind moderne Formen der Habgier. Die größten Hedgefonds und Vermögensverwalter der Welt (BlackRock etc.) häufen unendliche Geldmengen an und machen sich so zu Verfechtern dieser Todsünde

  • Neid: Neid ist ein tiefsitzendes Laster, es bedeutet, das zu wollen, was ein anderer besitzt. Heutzutage lassen uns Marketing und Werbung ständig vom Leben anderer träumen. Es ist ein Wettbewerb, in dem sich jeder mit jedem vergleicht, ohne jemals mit dem zufrieden zu sein, was er ist und hat. Erfolgreiche soziale Netzwerke wie TikTok oder Instagram haben ihr Geschäftsmodell auf Neid, Missgunst und Selbstinszenierung aufgebaut. Ebenso verkaufen multinationale Konzerne, vor allem aus der Luxusbranche, in ihrer Werbung ein auf Besitz basierendes Bild von Erfolg, das den permanenten Vergleich mit anderen befeuert.

  • Zorn: Zorn ist per Definition innere Gewalt, die Unfähigkeit, die eigenen Gefühle zu beherrschen, und der Wunsch nach Rache. Kein Unternehmen gründet sein Geschäftsmodell auf Wut, denn es hat keinen Sinn, ein Produkt verkaufen zu wollen, das nach Hass strebt. Aber die moderne Wirtschaft, die sowohl das Beste als auch das Schlechteste hervorbringt, erzeugt eine inhumane Ungleichheit, die in jedem Menschen Wut hervorrufen muss. Prekäre Lebensverhältnisse fördern Gewalt, die sowohl in körperlichen Aggressionen als auch im Anstieg radikaler Ansichten, Populismus usw. ihren Ausdruck findet.

  • Wollust: Wollust ist maßlose sexuelle Begierde. Das Unternehmen MindGeek, das die großen Plattformen der Pornoindustrie vereint, verzeichnet einen weltweiten Erfolg. Anwendungen und Plattformen zur Vermarktung des eigenen Körpers und der eigenen Sexualität, wie beispielsweise das Unternehmen OnlyFans, verbuchen einen Rekordzulauf. Der Mensch selbst wird zum Konsumobjekt degradiert.

  • Völlerei: Die allgemein bekannte Völlerei ist kein vorübergehender Appetit, sondern vielmehr das zwanghafte Bedürfnis nach Essgenuss. Die moderne Wirtschaft drängt uns unablässig zum Konsum, was zur Folge hat, dass diejenigen, die es sich leisten können, ständig essen, teilweise bis zur Fettleibigkeit. In diese Kategorie fallen multinationale Konzerne wie McDonald's oder Coca-Cola.

  • Faulheit: Faulheit schließlich ist nicht nur Mattigkeit. Sie ist die Ablehnung körperlicher, moralischer und intellektueller Anstrengungen. Mit anderen Worten: Passivität gegenüber allen Dingen. Die ständige verfügbaren, unmittelbare Wunschbefriedigung durch vorprogrammierte Hilfsmittel fördert die Faulheit des Einzelnen. Die Macht der omnipräsenten Algorithmen, insbesondere in sozialen Netzwerken oder auf Online-Plattformen wie YouTube, erzeugt eine Sucht, die zu Bewegungsarmut verleitet.

Die Todsünden sind menschliche Verhaltensweisen, die bis zum Äußersten getrieben werden. Wenn wir so schwach sind, dass wir sie wieder und wieder begehen, liegt das daran, dass wir uns mehr von unseren Gelüsten als von unserem Verstand leiten lassen. In einem wunderbaren Buch mit dem Titel „Thinking, Fast and Slow“ stellt Daniel Kahneman das System 1 und das System 2 vor, die erklären, wie unser Gehirn bei der Verarbeitung von Informationen und vor allem bei der Entscheidungsfindung reagiert. Wo System 1 unbewusst, schnell und gefühlsbetont handelt, mobilisiert System 2 Logik und kritisches Denken. Freud zeigte in ähnlicher Weise, dass wir zuerst unsere primitiven Instinkte aktivieren, bevor wir unseren Verstand einschalten. Dieser Gegensatz ist vergleichbar mit dem Unterschied zwischen dem Körper, der triebgesteuert handelt, und dem Geist, der weise handelt. Obwohl sie nicht voneinander zu trennen sind, ist der Körper materiell und unterliegt den physikalischen Gesetzen, während der Geist nach dem Unendlichen trachtet.

Da die moderne Wirtschaft ständig neue Bedürfnisse schafft, appelliert sie eher an unseren Körper als an unseren Geist. Ein Paradoxon veranschaulicht das heute herrschende Übel: Das Verlangen des Wesens nach Unendlichkeit wird nie befriedigt, da es allein mit materiellen Gütern gefüllt wird. Fehlen diese Güter jedoch, hinterlässt dies wiederum eine ebenso tiefe Leere. Nie zuvor in der Geschichte haben wir so viele Waren und Dienstleistungen produziert, und dennoch haben Angst, Einsamkeit, Sucht und Depressionen noch nie so stark zugenommen wie heute.

Die Sünden könnten große Stärken sein, wenn sie in gemäßigter Form angewandt werden. Mäßiger Stolz kann ein Zeichen von Ehrgeiz sein, wenn er sich auf sich selbst konzentriert, oder eine starke künstlerische Kraft, wenn er in ein äußeres Medium gelenkt wird (Malerei, Musik, Poesie, Architektur ...). Geiz in Maßen kann in einer Handelsgesellschaft ein unbeschwertes Leben und alltägliche Freuden ermöglichen (in den Urlaub fahren, reisen, essen, worauf man Lust hat, freie Wahl von Hobbys oder Projekten, entscheiden können, ob man Ja oder Nein sagen will ...). Die maßvolle Völlerei verwandelt sich selbstverständlich zur Gastronomie. Sie zeugt von der Vorliebe für gute Dinge und nicht von einer permanenten Übersättigung mit Produkten, die eine innere Leere füllen sollen. Maßvolle Lust wird zu Sinnlichkeit und Intimität, sie weckt das Verlangen des Herzens und ermöglicht eine große Entfaltung. Gemäßigter Neid kann wiederum kreative Kräfte entfachen, einen Wettbewerbsgeist formen und den Ehrgeiz nähren. Spitzensportler zum Beispiel beobachten den Erfolg ihrer Gegner, um sich selbst zu übertreffen und neue persönliche Rekorde aufzustellen. Auch Wut kann in ihrer gemäßigten Form äußerst förderlich sein. Sie weckt in uns das Gefühl der Ungerechtigkeit und führt zu Empörung und Veränderung, sei es politisch, sozial, wirtschaftlich usw. Diese Antriebskraft hat die größten sozialen Fortschritte hervorgebracht. Zu guter Letzt kann schließlich auch die Faulheit als Rückzug und Abstandnahme interpretiert werden. Sie ermöglicht Reflexion und Kontemplation angesichts des Lebens und seiner Geheimnisse.

Unter dieser neuen Perspektive könnten die Todsünden umbenannt werden:

  • Hchmut → Ehrgeiz
  • Geiz → Mäßigung
  • Völlerei → Geschmack
  • Wollust → Sinnlichkeit
  • Neid → Inspiration
  • Zorn → Empörung
  • Faulheit → Kontemplation

Statt in einer Wirtschaft der sieben Todsünden würden wir dann in einer Wirtschaft der sieben Wohltaten leben. Physiches Gold als natürliche und zeitlose Währung wäre gegenüber dem Schuldgeld die bevorzugte Wahl. Während eine auf Schulden basierende Wirtschaft – also eine Wirtschaft, die auf dem Wachstumszwang beruht – immer wieder die Todsünden fördert, kann sich eine auf Gold basierende Wirtschaft an die menschlichen Bedürfnisse anpassen und so die Wohltaten fördern.

Damit eine solche Wirtschaft entstehen kann, müssen sich alle Sektoren an dieser neuen Vision orientieren. Zwar zeichnet sich dieser Wandel allmählich ab. Die Notwendigkeit, ein ausgewogeneres Modell anzunehmen, ergibt sich von selbst, da die Zunahme von Krisen jeder Art einen Bruch mit der bisherigen Ordnung der Dinge markiert. Die großen Unternehmen werden sich allmählich bewusst, dass ihr Fortbestand von der Sorge um die menschlichen Bedürfnisse abhängt. Dass Gewinnmaximierung kein Selbstzweck sein darf, da sonst ihre eigene Geschäftstätigkeit in Gefahr ist.

Bisher bleibt dieser Wandel jedoch nur Fassade und wird oft sogar instrumentalisiert.

Diese Neuausrichtung ist nur dann positiv, wenn sie in einen dauerhaften Wandel mündet. Dazu muss jedoch jeder Einzelne verstehen, dass dieses Projekt in seinem eigenen Interesse liegt.

Der Weg dahin ist noch weit.

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