Wie die vorherigen Jahre dieses Jahrhunderts war auch 2023 in vielerlei Hinsicht erschütternd und revolutionär. Die Geschichte beschleunigt sich mit nie dagewesener Geschwindigkeit. Geopolitische Konflikte vermischen sich mit Innovationen aller Art. Es war ein Jahr voller Gefahren (Fortsetzung des Krieges in der Ukraine, Invasion von Bergkarabach, Konflikt zwischen Israel und Palästina, Putsche in Afrika, anhaltende Spannungen in Taiwan, Cyberangriffe etc.), aber auch der Fortschritte, wobei der bedeutendste die rasante Weiterentwicklung der generativen KI bleibt. Angesichts dieser zahlreichen Herausforderungen bleibt die größte Bedrohung der erstarkende Autoritarismus, der, wie wir uns erinnern, mit dem Ende des aktuellen Finanzzyklus Hand in Hand geht. Während 2024 verschiedene Wahlen anstehen, können die wirtschaftlichen und finanziellen Aussichten diese zum Besseren oder zum Schlechteren wenden.
In einem Artikel vom Januar 2023 hatten wir vier Hauptthesen für das kommende Jahr formuliert:
- An den Märkten wird es zu Liquiditätsengpässen kommen, die zu finanzieller Instabilität führen.
- Das Wachstum wird sich plötzlich verlangsamen und die westlichen Staaten werden in eine Rezession abgleiten.
- Die Inflation wird weiterhin über dem angestrebten Niveau von 2 % liegen.
- Der Goldkurs wird von dieser Situation und den zahlreichen Herausforderungen profitieren und deutlich steigen.
All diese Vorhersagen wurden von den Fakten bestätigt: Sowohl in den USA als auch in Europa sind im Frühjahr mehrere Banken pleitegegangen (mit dem Fall der Großbank Credit Suisse war es das schlechteste Jahr für den Bankensektor seit 2008), die Eurozone rutschte in die Rezession (die USA haben den Abschwung dank massiver und effizienter Unterstützung seitens der Regierung und der Fed vermieden), die Inflation beträgt in der überwiegenden Mehrheit der westlichen Staaten mehr als 2 % und Gold erreichte ein neues Allzeithoch.
Wenngleich die Zentralbanken ihre Leitzinsen noch nicht gesenkt haben, ist das nur noch eine Frage von Wochen, wie jüngste Aussagen belegen. Es empfiehlt sich aber vor allem auch die Entwicklung der Umlaufgeldmenge im Blick zu behalten. Dank des Hilfsprogramms der Fed im Anschluss an die Bankenkrise vom März hat die neue Kreditwelle der US-Banken die Bilanzkürzungen der Notenbank aufgewogen. Das Ergebnis: Die Umlaufgeldmenge im Inland ist seit fast 10 Monaten unverändert geblieben.
Das Jahr endete mit einem Paradox, das deutlicher zum Vorschein tritt als je zuvor: Der Kluft zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft. Die Märkte haben vom Rückgang der Inflation und der Mehrdeutigkeit der Zentralbanken profitiert und schlossen zum Jahresende auf Rekordniveau. Dieser Zustand ist allerdings nur vorübergehend. Wir werden noch darauf zurückkommen.
In Wirklichkeit erleben mehr und mehr Unternehmen, dass sich ihre Liquiditätsreserven erschöpfen und sie infolge der Verteuerung ihrer Kredite und des Konjunkturabschwungs von Insolvenz bedroht sind. Am anfälligsten sind logischerweise die Unternehmen, die die Gesundheitskrise und die Niedrigzinsen nutzten, um sich übermäßig zu verschulden, sowie diejenigen, die schon jetzt als Zombie-Unternehmen klassifiziert werden (d. h. deren Einnahmen nicht ausreichen, um ihre Zinszahlungen zu decken).
Diese Fragilität lässt sich in allen Industriestaaten (USA, Dänemark, Frankreich, Schweden, Deutschland…), in allen Wirtschaftssektoren (Textilindustrie, Wohnungswesen, Transportwesen, Immobilien…) und bei allen Unternehmensformen beobachten. In den USA hat sich die Zahl der Insolvenzen gegenüber 2022 um 30 % erhöht und in der europäischen Union um 13 %. In manchen Ländern melden mittlerweile mehr Unternehmen Konkurs an als während der Finanzkrise von 2007-2008.
Welche Entwicklungen sind angesichts dieser Bilanz 2024 zu erwarten?
Um Prognosen und Vorhersagen zu treffen, ist ein Blick auf langfristige Trends immer zweckdienlich. Zur Erinnerung: Die heutige Zeit ist aufgrund der Vielzahl an Risiken weltweit, des Schuldenniveaus der Großmächte im Verhältnis zu dem von ihnen erwirtschafteten Vermögen und des Anstiegs ihrer Militärausgaben als Ende eines Finanzzyklus einzuordnen.
Seit 2008 ist der seit einem halben Jahrhundert vorherrschende Finanzkapitalismus, der sich durch sein Geldsystem von der realen Welt entkoppelt hat, in seine finale Phase eingetreten. Sein Ende wird durch immer mehr Schulden und mittlerweile zwei Jahre der Inflation hinausgezögert. Vergessen wir nicht, was der französische Finanzminister Joseph Caillaux 1932 unter Bezugnahme auf die Krise von 1929 sagte: „Der Beginn des Unwetters wurde durch Geldinflation (...) verzögert, die fast die gleiche Wirkung hatte wie die Morphiumspritze, die der Arzt seinem Patienten gibt, und die den Schmerz betäubt, ihn aber im Verborgenen fortwirken lässt, sodass er später umso heftiger wieder ausbricht, weil er künstlich verzögert wurde.“ Wiederholt sich die Geschichte?
Alles deutet auf folgende Entwicklungen im Jahr 2024 hin:
- Die Wirtschaftslage wird sich weiter verschlechtern (die Unternehmenspleiten nehmen zu, die Arbeitslosigkeit steigt stark an – vor allem in Europa – und zahlreiche Länder gleiten erneut in eine Rezession ab, vor allem die, in denen das Zinsniveau mittlerweile über der Wachstumsrate liegt).
- Es kommt zu einer großen Finanzkrise. Im Gegensatz zu dem, was man glauben könnte und während die Fed und die EZB neue Zinssenkungen vorbereiten (im Laufe des Frühlings und Sommers), wird es zunächst schrittweise und dann sehr plötzlich zu weiteren Bankenpleiten kommen, denn die Märkte werden das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken verlieren. Letztere werden sich in einer Sackgasse befinden und zwischen Inflation und Finanzkrise wählen müssen. Mit den seit mehreren Monaten positiven Realzinsen entscheiden sie sich für den Kampf gegen die Preisanstiege. Die Zinsrevolution hat also begonnen. Es droht folglich eine große wirtschaftliche und finanzielle Buße.
- Gold wird neue Allzeithochs erreichen. Die Nachfrage wird weiterhin stark von den Käufen der Notenbanken beeinflusst werden (insbesondere seitens der Länder des „globalen Südens“), für die ein Vermögenswert, der an keine Autorität gebunden ist und angesichts der ungewissen Zukunft die Rolle einer Versicherung spielt, sehr attraktiv ist.
Gleichzeitig werden rund um den Globus in diesem Jahr entscheidende Wahlen stattfinden. Die betroffenen Staaten erwirtschaften zusammen fast 60 % des weltweiten BIP. Die wichtigsten sind die Präsidentschaftswahlen in Taiwan und in den Vereinigten Staaten am 13. Januar bzw. am 5. November, sowie die Parlamentswahlen in Europa und Indien am 9. Juni und am 1. April 2024.
Der Ausgang wird von den wirtschaftlichen, finanziellen und geopolitischen Entwicklungen weltweit abhängen und insbesondere auch von der Positionierung der US-Regierung unter Biden, die ein Land lenkt, welches trotz seiner Schwachstellen die führende Weltmacht bleibt.
Da in den USA nun ein Wahljahr anbricht, ist nicht mit einer Kürzung der öffentlichen Ausgaben oder mit Steuererhöhungen zu rechnen. Und wenn die unterstützenden Maßnahmen der Fed Ende März 2024 auslaufen, kann problemlos ein neues, ähnliches Programm beschlossen werden. Die wirtschaftliche und finanzielle Instabilität wird dagegen ernste Folgen haben, sowohl in den Vereinigten Staaten als auch weltweit. Dies gilt umso mehr, da sich die Teuerungen fortsetzen werden, weil die Inflationsrate wahrscheinlich bei mehr als 2 % gehalten wird, um die Kosten für die Staatsschulden so weit wie möglich zu senken…
Wenngleich sich die Zukunft verfinstert, ist die Geschichte niemals festgeschrieben. Mehr denn je wird in diesem Jahr eine große Kehrtwende nötig sein, um das Schlimmste zu verhindern. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre es angeraten, die Geldpolitik neu zu denken, um den pro-zyklischen Effekt des Schuldgeldes zu beenden, die Unternehmen und Aktivitäten zu unterstützen, die für die Realwirtschaft am produktivsten sind (mit Hilfe von Anreizen wie Subventionen, gestaffelten Zinssätzen etc.), und schließlich auch umfassende Dezentralisierungsmaßnahmen durchzuführen, um die Konzentration im Bankensektor und die daraus folgende Ungleichheit abzumildern. Aus gesellschaftlicher Sicht müsste alles beseitigt werden, was dem Individualismus Vorschub leistet, und stattdessen neues Vertrauen zwischen den Menschen geschaffen werden, ohne dabei zu vergessen, dass Wandel zuerst auf persönlicher Ebene stattfindet. Politisch gesehen wäre mehr Demokratie notwendig.
Hoffen wir, dass 2024 der Welt das Gleichgewicht bringen kann, das ihr so bitter fehlt.
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