Bei der Bretton-Woods-Konferenz im Juli 1944 in den USA bereiteten die beiden Protagonisten John Maynard Keynes und Harry Dexter White – der eine Brite, der andere Amerikaner – die Errichtung des internationalen Währungssystems vor. Während Keynes für die Schaffung einer internationalen Währung – den Bancor – plädierte, verteidigte White die Idee eines auf einem Goldstandard basierenden Systems, in dem alle Währungen an den Dollar gekoppelt sind. Da die USA wesentliche Reserven des gelben Metalls halten, kann Uncle Sam den Dollar mit Hilfe dieses Systems weltweit als Leitwährung durchsetzen. Am Ende der Konferenz wird Whites Vorschlag angenommen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert festigen die Vereinigten Staaten auf diese Weise ihre Vorherrschaft und unterwerfen zahlreiche Staaten ihrer Politik und der Geldpolitik ihrer Notenbank.

Auch wenn die Geschichte zeigt, dass die USA zu allem bereit sind, um diese monetäre Vormachtstellung zu verteidigen, haben verschiedene Ereignisse zur Geburt einer Bewegung der Entdollarisierung geführt, die immer stärker wird. Doch in welches neue Währungssystem führt sie uns? Eine bedeutende Veränderung wird nicht von heute auf morgen stattfinden. Die „globale Entdollarisierung“ begann vor mehreren Jahren, doch die US-Währung dominiert nach wie vor den internationalen Zahlungsverkehr. Der Krieg in der Ukraine scheint neue Trends allerdings zu beschleunigen. Abgesehen von der Konfrontation zwischen den russischen Streitkräften auf der einen und den ukrainischen, amerikanischen und europäischen Streitkräften auf der anderen Seite, entstehen durch den Konflikt zwei verschiedene Blöcke: Einerseits der westliche Block, der am Dollar festhält, und andererseits die – hauptsächlich östlichen – Länder, die ein neues internationales Währungssystem wünschen.

Die Allmacht der US-Währung

Da es ihnen gelang, den Dollar als internationale Reservewährung durchzusetzen, konnten die Vereinigten Staaten eine monetäre Hegemonie erzwingen und sich massiv verschulden, denn sie genießen das Privileg, dass diese Schulden immer von ausländischen Investoren gekauft werden. Auf diese Weise kann das Land es sich erlauben, sein Haushaltsdefizit kontinuierlich zu vergrößern, ohne dass seine Währung an Wert verliert. Ein entscheidender Vorteil, der maßgeblich zur Stellung der USA als größter Wirtschaftsmacht weltweit beiträgt.

Im Rahmen des Goldstandards [1] war das Privileg schwer aufrechtzuerhalten, denn die USA mussten ihre Goldbestände stetig aufstocken, um sich verschulden und auf diese Weise unter anderem das Projekt der „Great Society“ und den Vietnamkrieg finanzieren zu können. Das Ende des Bretton-Woods-Systems und die Jamaica-Abkommen von 1976 ermöglichten ihnen jedoch den Erhalt der Vorherrschaft. Dank der Aufhebung aller Grenzen für die Geldschöpfung und der Einführung freier Wechselkurse konnten die USA ihre seit 1945 verfolgte Politik fortsetzen und sogar intensivieren. John Connally, amerikanischer Finanzminister unter Präsident Nixon, prägte damals den folgenden Ausspruch: „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.“ Seit 40 Jahren wächst der amerikanische Schuldenberg unaufhaltsam, ungeachtet aller vom Kongress beschlossenen Schuldenobergrenzen. 1971 lagen die Staatsschulden bei etwa 450 Milliarden Dollar. Heute betragen sie 30 Billionen Dollar.

 

 

Die Herrschaft des Dollars hat auch dank des sogenannten „Petro-Dollars“ weiter Bestand. Aufgrund der Unwissenheit der Briten bezüglich der Ölvorkommen auf der arabischen Halbinsel, aber auch aufgrund der Vorbehalte der Länder am Persischen Golf angesichts der Einmischung des Vereinigten Königreichs in der Region nach dem Fall des Osmanischen Reiches 1922, gelang den USA eine Annäherung an die Golfstaaten, insbesondere durch Unterzeichnen eines strategischen Abkommens mit Saudi-Arabien am 14. Februar 1945, des sogenannten Quincy-Pakts. Der saudische König Ibn Saud und der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt verständigen sich auf eine Allianz, in deren Rahmen die USA im Tausch gegen militärischen Schutz in der Region Zugang zu den Öllagerstätten des Landes erhalten.

Doch 1973 kommt es zum ersten Ölpreisschock. Weil das Produktionsmaximum in den USA erreicht ist und der Dollar, in dem die Ölpreise angegeben werden, an Wert verliert, bricht der Kurs des schwarzen Goldes ein. Um die kumulierten Verluste auszugleichen, einigen sich die Mitglieder der OPEC darauf, den Preis pro Barrel um 70% zu erhöhen. Da er die Bedeutung des Öls als wichtigste globale Energiequelle zu einer Zeit verstand, in der die Ölproduktion auf amerikanischem Territorium ihren langfristigen Rückgang gerade erst begonnen hatte, schloss der Verhandlungskünstler Henry Kissinger – damals Staatssekretär unter Präsident Nixon – ein neues Abkommen mit Saudi-Arabien, welches auf den Grundlagen des Quincy-Paktes aufbaute. Indem sie einen starken Dollar, stetige Waffenlieferungen und eine verstärkte militärische Unterstützung am Persischen Golf versprachen, erreichten die USA, dass fortan jedes Barrel Rohöl in Dollar gehandelt wurde. Infolgedessen wurde der Großteil des Rohstoffhandels in der US-Währung abgewickelt. Der Besitz von Dollars – und damit die Finanzierung der US-Schulden – ist dadurch unerlässlich geworden für den Kauf von lebenswichtigen Rohstoffen.

Nach mehreren strategischen Fehlern dreht der Wind

Die verstärkte Anwendung der Extraterritorialität des amerikanischen Rechts, insbesondere des Foreign Corrupt Practices Act von 1977, hat die Vorbehalte der anderen Länder gegenüber den USA unweigerlich verstärkt. Die Tatsache, dass der Besitz von Dollars durch ein ausländisches Unternehmen dieses sofort der Strafverfolgung aussetzt, sobald es gegen amerikanisches Recht verstößt, hat dazu beigetragen, dass der US-Dollar nicht mehr nur ein Instrument der monetären Vorherrschaft war, sondern zugleich ein juristisches Zwangsmittel, welches die Souveränität der Wirtschaftsakteure bedroht. Zahlreiche französische, chinesische, iranische und andere Unternehmen haben den Preis dafür bezahlt.

Dazu kam noch die Durchsetzung zahlreicher Embargos (Iran, Venezuela, Afghanistan…), sowie die Drohung, bestimmte Länder aus dem Interbanken-System SWIFT auszuschließen, welches damit zum geopolitischen Druckmittel des Westens unter Führung Amerikas wurde. Wird eine Bank aus diesem Netzwerk ausgeschlossen, werden Zahlungsanweisungen nicht mehr übermittelt, wodurch die betroffene Institution praktisch handlungsunfähig wird. Die iranischen Banken wurden 2012 ausgeschlossen, als das Land die Entwicklung seines Atomprogramms beschleunigte. Zwei Jahre später weisen die USA im Anschluss an die Annexion der Krim auf die Möglichkeit eines Ausschlusses der russischen Banken aus dem System hin. Russland erfasst die Gefahr, die in einer Abhängigkeit vom westlichen System liegt, und schafft unmittelbar danach seine eigenes Übermittlungswesen im Bankensektor, genannt SPFS.

China hat seinerseits 2015 ein eigenes Netzwerk eingerichtet, das System CIPS. Dieses bietet Clearing- und Glattstellungsdienste für grenzübergreifenden Zahlungsverkehr in Yuan. Vier Jahre später tun die Europäer es ihnen gleich und etablieren das INSTEX-System, nachdem die USA das Wiener Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufkündigen. Doch Präsident Trump ruft sie sehr schnell zur Ordnung und droht denen, die es verwenden, mit dem Ausschluss vom amerikanischen Markt.

Während das europäische System kaum genutzt wird, erfreuen sich das russische und das chinesische System zunehmender Beliebtheit. Sie ziehen nicht nur zahlreiche Handelspartner wie den Iran, Indien und die Türkei an, sondern beschleunigen zudem die Entdollarisierung, welche sich insbesondere in einem Rückgang der Dollarreserven weltweit niederschlägt. Während der Dollar 2014 noch einen Anteil von 66% an den globalen Devisenreserven hatte, stellt er nunmehr nur noch 58,8% der Reserven, während der Euro, der Yuan und Gold ihren Anteil jeweils ausbauen konnten.

Die Vorreiter dieser Bewegung sind weiterhin die strategischen Rivalen Amerikas – das heißt China und Russland – doch auch andere Länder beginnen den USA und dem Dollar den Rücken zu kehren und wenden sich stattdessen China und dem Yuan zu. Das gilt sogar für Israel, das kürzlich einen Abbau seiner Dollarreserven ankündigte (Rückgang um mehr als 5%), um erstmals Yuan (in einer noch sehr geringen Menge) hinzuzufügen. Auch Brasilien hat 2021 beschlossen seine Dollarreserven zugunsten des Yuan (wachsender Anteil von 1,21 % bis 4,99 %) von 86,03% auf 80,34% zu senken. Andere Länder wie Nigeria und der Iran haben vergleichbare Schritte bereits vor Jahren unternommen.

 

 

Auch wenn sich der Krieg in der Ukraine mithilfe zahlreicher geopolitischer Gründe erklären lässt (Energie, Nato-Osterweiterung, interne Konflikte), tut das der Tatsache keinen Abbruch, dass die langfristige Strategie der Entdollarisierung Russlands eine bedeutende Spannungsquelle zwischen den USA und dem Kreml bleibt. 2013 wurden noch 95% der Erdöl- und Erdgasverkäufe Russlands an die BRICS-Staaten in US-Währung bezahlt. 2021 sind es weniger als 10%. Das ist eine tiefgreifende Veränderung, wenn man sich bewusst macht, dass Russland zu den größten Ölproduzenten weltweit zählt und Rohstoffe mehr als die Hälfte des Exportvolumens des Landes ausmachen, aber dennoch vor allem ein Mittel der USA zur Durchsetzung ihrer monetären Hegemonie darstellen.

Seit 2014 reduziert die russische Zentralbank zudem stetig den Anteil ihrer Währungsreserven in US-Dollar. Heute macht die amerikanische Währung nur 16,4% ihrer Gesamtreserven aus. 32,3% entfallen auf den Euro, 21,7% auf Gold (nach dem Kauf von Gold im Wert von 40 Milliarden Dollar in den letzten fünf Jahren) und 13,1% auf den Yuan. Diese Strategie ermöglicht es heute die Folgen der jüngsten Wirtschaftssanktionen zu begrenzen, die der Westen gegenüber Russland erlassen hat.

 

 

Der Ausschluss der russischen Banken aus dem SWIFT-System infolge der Invasion Russlands in der Ukraine war vorhersehbar, das Einfrieren der Aktiva der russischen Zentralbank jedoch nicht. Diese Entscheidung könnte vor allem das Misstrauen anderer Länder gegenüber Washington verstärken. Dies gilt weniger für Europa, welches keine monetäre Hegemonie innehat, sich aber vor allem die Anwendung derartiger Maßnahmen noch nicht zur Gewohnheit gemacht hat. Gita Gopinath [2], stellvertretende Geschäftsführerin des IWF, sagte, dass die Sanktionen „der Vorherrschaft des Dollars in Zukunft schaden“ und eine „stärkere Fragmentation des internationalen Währungssystems“ auslösen könnten. Sie erklärte insbesondere, dass sich das in „rückläufigen Tendenzen gegenüber anderen Währungen ausdrücken wird, die eine wichtigere Rolle spielen.“

Trotz der chinesisch-indischen Grenzkonflikte wird der Konflikt in der Ukraine die Allianz zwischen Russland, China und Indien, die gemeinsam 2,8 Milliarden Menschen beherbergen – mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung – weiter stärken. Abgesehen von der Intensivierung ihrer Handelsbeziehungen seit dem Beginn des Krieges fangen diese Staaten auch an, ihre Rohstoffe untereinander in den jeweiligen Landeswährungen zu handeln. Mit dem Ziel, den Yuan zu internationalisieren und den Dollar zu schwächen hat China seine jüngsten Kohlelieferungen aus Russland in Yuan bezahlt [3].  Die russischen Ölexporteure bieten die gleiche Lösung an. Indien prüft unterdessen die Möglichkeit, seine Handelsbeziehungen mit Russland in Rupien abzuwickeln[4]

Gleichzeitig nutzen manche Länder diese Situation, um die Amerikaner zu erpressen. Nach den jüngsten Verhandlungen mit dem Iran und wiederholten Erklärungen Präsident Bidens, die auf das Ende der Unterstützung der USA im Krieg in Jemen abzielten, erklärte Saudi-Arabien [5] qu’elle réfléchit à l’idée d’échanger avec la Chine son pétrole en yuan plutôt qu'en dollar. Comme Riyad joue un rôle majeur dans la puissance et la pérennité de la monnaie américaine, cette menace pourrait faire l’effet d’une bombe en cas d’adoption. Mais le prince saoudien n’est pas le seul à vouloir agir de la sorte. Le candidat et ex-président brésilien Lula da Silva, a récemment révélé [6] qu’il instaurerait, s’il était élu en octobre prochain, une monnaie unique en Amérique latine dans le but d’être « libéré de la dépendance du dollar. »

Die Tatsache, dass zahlreiche Staaten und Großmächte wie Indien und China ihre Handelsbeziehungen zu Russland – dem Verantwortlichen für den Krieg in der Ukraine – in der jeweiligen Landeswährung ausbauen, stellt nicht nur den ausgesprochenen Willen dieser Länder unter Beweis, der Dollar-Hegemonie ein Ende zu setzen, sondern lässt insbesondere auch die Machtlosigkeit der USA angesichts einer vereinten Bewegung erkennen. In dieser Hinsicht markieren die öffentlichen Verlautbarungen von Politikern und Großbanken in letzter Zeit eine beachtliche Wende in der Kommunikation. Während früher nur selten über Entdollarisierung gesprochen wurde, wird das Thema heute immer öfter aufgegriffen. Obwohl das amerikanische Finanzsystem und die amerikanische Demokratie bedroht scheinen, lädt die Duldung der USA gegenüber dieser Situation uns ein, die Perspektiven zu betrachten, die ein zunehmendes Erstarken der Anti-Dollar-Bewegung eröffnen würde.

Ein neues Währungssystem am Beginn einer neuen Globalisierung?

In einem Research-Bericht von Goldman Sachs [7], stellen die Analysten heraus, dass die US-Währung aktuell vor zahlreichen Herausforderungen steht, mit denen sich das Britische Pfund Anfang des 20. Jahrhunderts konfrontiert sah, als es die internationale Reservewährung war. Die Abnahme der Nettoaktiva, die im Ausland in der betreffenden Währung gehalten werden, die Entwicklung potenziell nachteiliger geopolitischer Konflikte und der geringe Anteil am globalen Handelsvolumen im Verhältnis zur Vorherrschaft der Währung im internationalen Zahlungsverkehr sind Herausforderungen, die denen des Vereinigten Königreiches und des britischen Pfundes vor der Krise von 1929 ähneln.

In den darauf folgenden Jahren wurden die Karten des internationalen Währungssystems neu gemischt und alles deutet darauf hin, dass das kommende Jahrzehnt vergleichbar sein könnte.

Auch wenn die US-Währung im Moment noch vorherrschend ist, wird ihre Hegemonie zunehmend angegriffen und die Macht alternativer Zahlungsmethoden wächst. Abgesehen vom Aufschwung der Kryptowährungen, die zur Erschaffung verschiedener digitaler Zentralbankwährungen führen (Central Bank Digital Currency) – Projekte, die von den Notenbanken ernsthaft studiert werden – sind die Internationalisierung des Yuan und die weltweite Zunahme staatlicher Goldreserven ein Anzeichen dafür, dass verschiedene Währungen dem Dollar früher oder später Konkurrenz machen könnten.

China hat lange Zeit auf die Abwertung seiner Währung gesetzt, um sein Exportniveau und Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Der steigende Anteils Chinas am globalen BIP, die rasante technologische Entwicklung des Landes, seine regionale Macht, die Liberalisierung seiner Wechselkurse, die Einführung eines digitalen Yuan, die Entwicklung eines eigenen Übermittlungssystems im Bankensektor, die Aufnahme des Yuan in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte [8], und die Schaffung einer zentralen Finanzregulierungsbehörde sind gleichermaßen Faktoren, die die Internationalisierung des Yuan ermöglichen.  Die Fortsetzung dieser langfristigen Strategie erfordert jedoch auch einige Opfer. China muss massiv investieren und zum Netto-Exporteur von Vermögenswerten werden oder ein negatives Handelsbilanzdefizit haben. Die Kapitalkontrollen müssen aufgegeben werden und der Zugang zum Yuan muss weltweit unbeschränkt sein. Angesichts der Wirtschaftspolitik des Landes in den letzten Jahren erfordert die Weiterentwicklung des Yuan also die Umsetzung struktureller Reformen.  

Gold bleibt unterdessen ein bedeutender Konkurrent. Insbesondere von den Ländern, die ihre Abhängigkeit vom Dollar reduzieren wollen, wird das gelbe Metall hoch geschätzt. Die Zentralbanken, die das Dollar-basierte Finanzierungssystem umgehen, haben in den vergangenen 20 Jahren das meiste Gold gekauft. China und Russland haben massiv in das Edelmetall investiert, ebenso die Türkei, Indien und Kasachstan. Gold macht heute ein Sechstel der weltweiten Zentralbankreserven aus, was einem Wert von fast 2 Billionen Dollar entspricht. Eine beschleunigte Entdollarisierung wird daher zwangsläufig auch zur Steigerung der Goldnachfrage führen.

Die Hypothese eines multipolaren Währungssystems impliziert jedoch auch einen fortgesetzten Bedeutungsverlust des Dollars und den Aufstieg dieser Konkurrenzwährungen. Sollte ein solches Szenario eintreten – dies wäre ein jahrelanger Prozess, der zahlreiche Veränderungen notwendig machen würde – hätte dies auch eine tiefgreifende Transformation der amerikanischen Finanzlage zur Folge.  Werden weltweit weniger US-Anleihen gekauft, wäre eine Abwertung des Dollars vorprogrammiert. Um den Rückgang ihrer Währung zu verhindern, bliebe den USA nichts anderes übrig als ihre realen Zinssätze auf ein ausreichend hohes Niveau anzuheben. Dies könnte sich wiederum entscheidend auf den Konsum und das Wachstum des Landes auswirken.

Wenn die Strategie zur Entdollarisierung nur nach und nach umgesetzt wird, dann liegt das insbesondere auch daran, dass eine heftige Abwertung der US-Währung für bestimmte Länder verheerende Folgen hätte, vor allem für die wichtigsten Handelspartner der Vereinigten Staaten. Im Rahmen seiner protektionistischen Politik hat China in den letzten Jahren große Dollarmengen gekauft. Das Land hält US-Staatsanleihen im Wert von etwa 1 Billion Dollar und mehr als 3 Billionen Dollar in seinen Devisenreserven. Ein plötzlicher Wertverlust des Dollars würde dem Reich der Mitte kolossale Verluste bescheren. Aus diesem Grund reduziert China den Umfang seiner Käufe von US-Treasuries seit 2014 schrittweise.

 

 

Europa, allen voran Deutschland, setzt die Käufe der US-Schuldverschreibungen dagegen fort und finanziert so das Defizit der Vereinigten Staaten. Eine beschleunigte Entdollarisierung könnte den Wert der Aktiva der europäischen Staaten also stark beeinflussen.

Dieses Szenario hätte auch für bestimmte Schwellenländer ernste Konsequenzen, da diese aufgrund der Anfälligkeit ihrer eigenen Finanzlage weiterhin zu den Netto-Käufern der US-Anleihen zählen.

 

 

Auch wenn die Hegemonie des Dollars weiterhin andauert, bedeutet die beschleunigte Entdollarisierung eine neue Herausforderung für die amerikanische Zentralbank vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten und dem Abwärtstrend der inländischen Finanzmärkte. Die Verlangsamung der Globalisierung und die Zunahme wirtschaftlicher und geopolitischer Rivalitäten bezeugen gleichzeitig den Willen zahlreicher Länder, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Der wachsende Wunsch nach monetärer Souveränität findet Ausdruck in der rückläufigen Verwendung des Dollars zugunsten anderer Währungen. In dieser Beziehung und auch aus anderen Gründen droht der Krieg in der Ukraine eine Bipolarisierung der Welt zu fördern, die zu einer Zahl anderer Umbruchsfaktoren hinzukommt. Doch unter welchen Bedingungen würden die Vereinigten Staaten den Statusverlust des Dollars akzeptieren, wenn dies dazu führt, dass sie ihre Vorherrschaft verlieren und sich nach mehr als einem halben Jahrhundert der Privilegien mit einer neuen, bescheideneren Rolle abfinden müssen? Bei den Überlegungen zur Zukunft des internationalen Währungssystems könnte dieser Epochenwechsel darüber hinausgehend auch Anlass geben für Erwägungen zu einer neuen Form der Geldschöpfung, die die globale Stabilität unterstützt.


Anmerkungen:

[1] :  Der Goldstandard ist ein Währungssystem, in dem eine Währungseinheit in Bezug auf eine festgelegte Goldmenge definiert ist. Die von der Zentralbank ausgegebene Geldmenge ist durch ihre Goldreserven streng begrenzt. Da die Goldreserven nicht unendlich sind, konnten es sich die Staaten nicht erlauben mittels ihrer Notenbanken so viel Geld zu schöpfen, wie sie wollten.

[8] : Die Sonderziehungsrechte (SZR) stellen ein vom IWF ausgegebenes Reserveguthaben dar. Sie dienen im Allgemeinen zur Deckung des Liquiditätsbedarfs, falls ein Land eine Finanzkrise erlebt. Die SZR stützen sich auf fünf bedeutende internationale Währungen: den Dollar, den Euro, den Yen, das britische Pfund und seit 2016 den Yuan. Der Internationale Währungsfonds „schöpft Geld“, indem er sich auf die Zentralbanken der Ausgabeländer stützt. Wenn ein Land beschließt, SZR vom IWF zu leihen, kann es die SZR in eine vom IWF akzeptierte Währung tauschen.

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