Manche kennen die Geschichte des Goldrauschs dank des Films von Charlie Chaplin, andere durch Sendungen und Bücher aller Genres. Diese Zeit wird zumindest von Historikern als eine der markantesten des 19. Jahrhunderts betrachtet. Faszinierend und strukturgebend zugleich, ist sie mit Blick auf die amerikanische Gesellschaft besonders aufschlussreich.

 

 

Der Goldrausch erinnert uns auch an die Entdeckung des ersten Münzgeldes. Im 7. Jahrhundert v. Chr. stieß König Gyges im Gebiet der aktuellen Türkei auf Flussgold, eine natürliche Legierung aus Gold und Silber. Dieser Fund bescherte ihm ein gigantisches Vermögen.

Im Januar 1848 fand der Tischler und Arbeiter James Marshall beim Ausheben eines Grabens auf einer Baustelle in einem kalifornischen Fluss ein Goldnugget. Ohne es zu ahnen, hatte er damit enorme Goldlagerstätten entdeckt, größer als die, die einige Jahrzehnte zuvor im Bundesstaat Georgia gefunden worden waren. Das war der Beginn des Goldrauschs.

 

James Marshall

 

Als James Marshall – oder eher einer seiner Kameraden, Samuel Brannan – über die Entdeckung spricht, bleiben die Zeitungen zunächst skeptisch und reden die Fakten klein. Doch nach einer Erklärung des elften Präsidenten der USA James K. Polk, der die Neuigkeiten bestätigt, nimmt der Traum schnell Form an. Zahlreiche Amerikaner und Abenteurer aus allen Ecken der Welt (vor allem aus Frankreich und Großbritannien, aber auch aus China) zieht es auf dem Land- und auf dem Seeweg nach Kalifornien. Tausende Männer und Frauen bereichern die multikulturelle, sich entwickelnde Region. Obwohl sie den Amerikanern kaum bekannt ist, verdoppelt sich ihre Bevölkerung in nur vier Jahren. Hier spielt sich die größte Massenmigration in der Geschichte der Vereinigten Staaten ab.

Der seit 1776 unabhängige Staat und seine Einwohner stellen die Entdeckung stolz zur Schau. Die Zeitung Philadelphia North American schreibt am 14. September: „In euren Flüssen schwimmen Elritzen (kleine Fische), unsere sind mit Gold gepflastert.“ Die örtliche Bevölkerung fühlt sich wie von einer himmlischen Offenbarung getragen, denn Gold wird in der Heiligen Schrift mit dem Glanz Gottes in Verbindung gebracht. Das geht so weit, dass die American Baptist Home Mission Society in einem 1849 veröffentlichen Bericht schreibt, dies sei „der Beweis eines speziellen göttlichen Plans, durch den die heidnischen Völker der Welt zu Christus bekehrt werden können…“ Zudem folgt diese Entdeckung auf die Eroberung Kaliforniens durch die Amerikaner nur wenige Monate zuvor, nachdem sie 1848 als Sieger aus dem Konflikt mit Mexiko hervorgingen.

Ein Wirtschaftsboom

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die USA von mehreren Bankenkrisen heimgesucht, die die positive Entwicklung des Landes beeinträchtigen. Obwohl es einen Goldstandard gibt (wenngleich Silber als Zahlungsmittel erst 1873 verschwindet), erscheint die Entdeckung der Goldminen als Mittel zur Stimulierung der amerikanischen Wirtschaft. Vor dem Hintergrund der industriellen Revolution stehen mehr Rohstoffe zur Verfügung, es fließt mehr Kapital und die Innovationen schreiten voran. Die neuen Goldreserven ermöglichen massive Investitionen wie die Errichtung von öffentlichen Gebäuden und Schulen. Sie tragen dazu bei, einen der zahllosen Träume der Bewohner Wirklichkeit werden zu lassen: den Bau einer Eisenbahnlinie, die das Land durchquert. Dank der Migrationsbewegung (zwischen 1848 und 1856 kommen fast 300.000 neue Siedler nach Kalifornien) entwickelt sich der Binnenmarkt und der Konsum wächst. Rund um die Minen schießen Städte wie Pilze aus dem Boden. San Francisco wächst während der acht Jahre des Goldrauschs zur Metropole und Kalifornien wird offiziell der 31. Bundesstaat der USA. Nach und nach verschiebt sich das Wachstum der Vereinigten Staaten von Osten nach Westen.

Schwierige Bedingungen

Die Aussicht auf leicht erworbenen Reichtum durch die Goldfunde fasziniert und lockt. Während sich die Lohnarbeit mitten im Aufschwung befindet, geben manche ihre gesamten Ersparnisse aus, um nach Kalifornien zu reisen und nach Edelmetallen zu schürfen. Doch die Bedingungen vor Ort sind hart. Der Bergbau erfordert das Graben von Stollen und Abtragen von Gestein. Die Unterkünfte sind marode und Lebensmittel sind knapp. Viele Goldgräber erkranken, andere sterben oder begehen Selbstmord. Manche kommen zu spät, denn nach nur vier Jahren ist das meiste Erz bereits abgebaut oder beansprucht. 1849 belief sich der Wert des geförderten Goldes auf 10 Millionen Dollar, 1850 waren es 41 Millionen Dollar, 1851 75 Millionen Dollar und 1852 sogar 81 Millionen Dollar.

Doch diese Situation betrifft nicht nur Kalifornien. In zahlreichen Gegenden der USA bleiben die Löhne niedrig, insbesondere die der Arbeiter, und die Arbeitsbedingungen sind hart. Die Tage reihen sich im Rhythmus der Maschinen aneinander (die einer ständigen menschlichen Überwachung bedürfen) und wiederholen sich ohne Pause, ohne Urlaub und ohne soziale Absicherung.

 

 

Gewinner und Verlierer

Der Goldbergbau macht nur die Wenigsten reich. Für viele endet die Umsiedlung nach Kalifornien in einer Enttäuschung. Der Großteil des Vermögens sammelt sich in den Händen derer, die vom allgemeinen Boom profitieren. Hotels, Eisenbahnstrecken und Zugangswege zu den Minen entstehen im Eiltempo. Samuel Brannan, eine der ersten herausragenden Persönlichkeiten des Goldrauschs, investiert massiv in Immobilien und wird der erste Millionär dieser Ära.

Der Goldrausch krempelt die Ideologie um. Das amerikanische Projekt besteht nicht länger darin, Vermögen durch lange und stetige Arbeit zu erwerben, sondern sofortigen Reichtum zu erlangen. Auf Grundlage dieser kurzfristigen Perspektive entwickelt sich das Konsumverhalten. Die wenigen Glücklichen, die durch das Goldschürfen reich geworden sind, frequentieren die Saloons des amerikanischen Westens, wo Alkohol ausgeschenkt und Essen zweifelhafter Qualität serviert wird. Andere reisen und geben ihr Geld schnell aus, auf die Gefahr hin, schon wenige Jahre später vor dem Ruin zu stehen. 

Bei ihrer individuellen Suche schrecken die Goldschürfer (und viele andere Kolonisten) nicht davor zurück, die ansässige Bevölkerung zu vertreiben und zu massakrieren, um den eigenen Gewinn zu maximieren. Die Zahl der amerikanischen Ureinwohner reduziert sich von 150.000 im Jahr 1845 auf nur 30.000 im Jahr 1870. Zudem entsteht zwischen den Goldschürfern ein erbarmungsloser Wettbewerb. Die Amerikaner (fast zwei Drittel der Bergarbeiter) tun sich zusammen und verjagen die Ausländer. Nicht-Amerikaner werden mit einer Steuer von rund 20 Dollar im Monat belegt.

Nach und nach wird der Bergbau nicht mehr individuell, sondern durch spezialisierte Unternehmen betrieben. Für Neuankömmlinge löst sich der amerikanische Traum in Luft auf. Es entstehen Minengesellschaften, die im großen Stil in Maschinen und Ausrüstung investieren, die dank einer neuen Technik einen schnellen Abbau des Goldes ermöglichen: die hydraulische Gewinnung. Diese wird vor allem ab den 1860-er Jahren verstärkt eingesetzt, da die Vorkommen schwinden und ihre Förderung fortschrittliche Techniken und Anlagen erfordert. Zwischen 1860 und 1880 wird auf diese Weise Gold im Wert von fast 170 Millionen Dollar gewonnen.

Kalifornien steigt in den Rang einer Weltmacht auf

Während des Sezessionskriegs, der in den USA zwischen 1861 und 1865 stattfindet, werden mehrere Konflikte in den Minenregionen ausgetragen. Doch die lokale Bevölkerung wächst weiter und verdoppelt sich zwischen 1860 und 1880.

Wenngleich sich das Zusammenleben von lokaler Bevölkerung und neuen Migranten oft schwierig gestaltet und vor allem chinesische Zuwanderer Diskriminierungen ausgesetzt sind, tragen der Bau der Eisenbahn, die Entwicklung der Landwirtschaft (vor allem dank des Anbaus von Weizen) und neue Innovationen zur Zufriedenheit der Einwohner bei. Die Verstädterung beschleunigt sich und der Zugang zu den Großstädten wird verbessert. Viele finden Arbeit. Kalifornien entwickelt sich Schritt für Schritt zu einem Ort, an dem man gut leben kann.

Erdöl, das schwarze Gold, wirkt anschließend als weiterer Wachstumsimpuls. Die weiten Ländereien im Westen Amerikas ermöglichen der Region große Erfolge und die Vorbereitung auf ihre Rolle als echte Weltmacht.

Trotz der großen Krise von 1929 und des Zweiten Weltkriegs gelingt es dem Bundesstaat Kalifornien dank langfristiger Investitionen, vor allem im Immobiliensektor, seine Wirtschaft umzustrukturieren. Der Babyboom sorgt für einen starken Wachstumsschub, der sich zur kulturellen Entwicklung der Region hinzugesellt (vor allem als Zentrum der Filmindustrie mit Hollywood, aber auch in literarischer Hinsicht durch Autoren wie John Steinbeck, Robert Duncan und andere). Im Zuge der Förderung durch führende Technologieunternehmen und namhafte Universitäten nimmt im Laufe der Jahre das Silicon Valley Form an und avanciert zum Herz der globalen Innovationsbestrebungen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts setzt Kalifornien sein rasantes Wachstum dank dem Zufluss von Kapital und der Entwicklung des Immobiliensektors fort. Doch die Subprime-Krise von 2007-2008 markiert einen Wendepunkt. Seitdem setzt in der Region und auch in den Vereinigten Staaten im Allgemeinen ein langsamer Niedergang ein, der eine künftige Krise ankündigt, die den Jahrzehnten des Fortschritts ein Ende setzen wird.

 

 

Der Goldrausch bildete also, wie wir gesehen haben, die Grundlage der wirtschaftlichen, demografischen und kulturellen Entwicklung Kaliforniens.

Dank ihrer reichen natürlichen Ressourcen und ihres Liberalismus ist diese Region, wie viele andere in den Vereinigten Staaten, ein Ort, an dem der amerikanische Traum geträumt werden darf. Doch dieser im Ausland so beneidete Traum wird nur für eine winzige Minderheit Wirklichkeit, wie auch der Goldrausch gezeigt hat. Wie der Humorist George Carlin so treffend sagt: „Man spricht vom amerikanischen Traum, weil man schlafen muss, um daran zu glauben.“

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