Evergrande, das wichtigste Immobilienunternehmen Chinas, beschäftigt 200.000 direkte Angestellte und schafft indirekt Arbeit für 3,8 Millionen Personen. Problem: Das Unternehmen ist pleite und hat am 14. September bekanntgegeben, dass eine Insolvenz droht. Evergrande wird von einer Schuldenlast von 260 Milliarden Euro erdrückt, muss aber noch 1,4 Millionen Wohnungen im Gesamtwert von 170 Milliarden Euro fertigstellen. Die zahlreichen Eigentümer, die für den Bau im Voraus bezahlt haben, laufen Gefahr, ihre Wohnungen nie zu erhalten. Am Montag, 13. September, haben die wütenden Investoren vor dem Sitz des Konzerns in Shenzhen demonstriert. Auch die Aktionäre machen eine finstere Mine, denn der Börsenkurs des Immobiliengiganten ist um mehr 75 % eingebrochen.
Ist abgesehen von den ruinierten Wohnungseigentümern und den über den Tisch gezogenen Aktionären auf nationaler Ebene und in der internationalen Finanzwelt mit Nachwirkungen zu rechnen? Es ist die Rede vom chinesischem „Lehman Brothers“, aber wie fundiert ist der Vergleich? Der Konzern hat in den letzten Jahren von der staatlich begünstigten Kreditblase profitiert: Um ein stärkeres Wirtschaftswachstum zu finanzieren und die Erholung von der Krise 2008 zu beschleunigen, hat die chinesische Regierung im Gegensatz zu den USA und der Eurozone nicht auf das Mittel des Gelddruckens zurückgegriffen, sondern auf die erzwungene Kreditvergabe. Die Banken mussten den Unternehmen Darlehen bereitstellen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dieses kreditbedingte Wachstum ist infolge der Corona-Pandemie in eine Depression umgeschlagen. Um gegen Spekulationen vorzugehen hat die chinesische Führung von Xi Jinping zudem eine 180-Grad-Wende vollzogen und die Bedingungen für den Zugang zu Darlehen verschärft. Evergrande bekam diese Richtungsänderung der Wirtschaftspolitik mit voller Wucht zu spüren.
Der Bauträger Evergrande ist ein Einzelfall. Die Verschuldung der chinesischen Unternehmen ist ins Uferlose gewachsen und entspricht mehr als 160 % des BIP, ein Weltrekord. Der Fall des Immobiliengiganten könnte in China einen Dominoeffekt auslösen, der neben dem Immobiliensektor auch die Banken trifft. Darüber hinaus haben zahlreiche chinesische und ausländische Fonds die Evergrande-Anleihen gekauft. Auch europäische und amerikanische Sparer könnten also betroffen sein.
Doch keine Sorge, die chinesische Regierung wird das nicht zulassen, es geht schließlich um ihre Reputation! Das ist in Wirklichkeit keineswegs gesichert, daher spricht man vielleicht auch vom „chinesischen Lehman Brothers“. Tatsächlich führt Xi Jinpings China eine nationalistische Kehrtwende durch, deren erstes Signal der Stopp der größten Erstemission der Geschichte war, nur 36 Stunden vor dem geplanten Datum: der Börsengang der Ant Group (besser bekannt unter dem Namen Alibaba, dem chinesischen Amazon), dessen Geschäftsführer Jack Ma sogar für zwei Monate völlig vom Radar verschwand. Ein anderes Warnsignal ist die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong. Kürzlich haben wir zudem erfahren, dass der Spitzenreiter der mobilen Bezahlens Alipay (Teil der Alibaba-Gruppe) von Peking bedroht wird, wo die Aufspaltung der Anwendung in zwei Bereiche geplant wird, das mobile Bezahlen einerseits und die Kreditaktivitäten andererseits. Insbesondere wäre Alipay gezwungen, die Daten seiner Nutzer mit staatlich kontrollierten Unternehmen zu teilen.
Kontrolle der großen Konzerne, Verbot von Börsengängen im Ausland… in Peking dreht der Wind. Das Gatestone Institute erklärt: „Die von Xi Jinping ergriffenen Maßnahmen, um chinesische Unternehmen von ausländischen Börsen fernzuhalten, könnten eine Vorbereitung auf die Enteignung ausländischer Aktionäre von chinesischen Firmen sein.“ Das ist wenig ermutigend für westliche Sparer und Anleger, denn abgesehen vom Immobilienkonzern könnten auch andere Investment in China oder in chinesische Assets einen schweren Schlag erleiden. Man muss genau beobachten, wie es jetzt mit Evergrande weitergeht…
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