Weihnachten kam dieses Jahr früh für die europäischen Banken: Am 18. Juni bot die EZB ihnen 1 bis 1,5 Billionen Euro in langfristigen Krediten (sogenannte TLTROs, gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte mit Laufzeiten von 3 Jahren) zu einem Zinssatz von -1%. Letztlich wurden 1,3 Billionen Euro bewilligt. Es ist wichtig zu verstehen, was der negative Zinssatz von -1% bedeutet: Die EZB wird die Banken dafür bezahlen, dass sie Geld von ihr leihen. Sie verleiht 1,3 Billionen Euro und wird in den nächsten zwölf Monaten obendrein noch 13 Milliarden Euro an Zinsen zahlen. Das ist, als würde Ihr Banker Sie dafür entlohnen, dass Sie Geld von ihm leihen. Sie könnten das Geld dann einfach ungenutzt liegen lassen, und den Gewinn (die Zinsen) einstreichen, ohne etwas getan zu haben. Die Welt steht Kopf!
Die Finanzwelt steht Kopf, aber der EZB zufolge geschieht das für einen guten Zweck, da es die Kreditvergabe ankurbeln soll. Die europäische Notenbank bezuschusst Unternehmenskredite, um die Coronavirus-Rezession so schnell wie möglich zu überwinden. Doch die Realität sieht anders aus: Wie ein Analyst der UBS erklärt, werden diese längerfristigen Darlehen hauptsächlich zu Rückzahlung älterer EZB-Kredite genutzt, genauer gesagt fällig werdender TLTROs im Umfang von 810 Milliarden Euro. Es werden also nur 500 Milliarden Euro an neuem Geld verfügbar sein (Financial Times). Das ist natürlich keine geringe Summe, aber doch recht weit vom Ausgangsbetrag entfernt. Es handelt sich also weitgehend um ein Umwälzungsgeschäft – neue Kredite, um damit die alten zu tilgen!
Dies gilt umso mehr, da die Banken diese zusätzliche Finanzspritze gar nicht benötigen. Immerhin haben die Regierungen angeboten, für große Summen an Unternehmenskrediten zu bürgen (550 Milliarden € in Deutschland, 400 Milliarden € in Italien, 300 Milliarden € in Frankreich, 112 Milliarden € in Spanien). Die EZB lässt sich hier auch gar nicht in die Irre führen. Bei den früheren TLTROs mussten die Banken noch nachweisen, dass sie ihre Lohnvergabe an die Wirtschaft erhöht hatten, jetzt müssen sie diese lediglich auf dem gleichen Niveau belassen wie vor der Coronakrise.
Tatsächlich wird das Geld hauptsächlich von Banken in Schwierigkeiten genutzt, denen es an Liquidität mangelt und die strukturelle Probleme haben. Die größte Nachfrage für die langfristigen Darlehen bestand vor dem 18. Juni seitens italienischer (29,3%), französischer (24,4%), spanischer (18,3%) und deutscher (12,2%) Banken (siehe Eric Door). Daraus ergibt sich eine Karte der Schwächen im Bankensystem, auf der vor allem die Banken mit umfassenden Kreditausfällen (Italien, Spanien) und die stark verschuldeten Megabanken (Frankreich, Deutschland), die zum Teil schon seit Jahren in zähen Umstrukturierungsprozessen stecken (Deutsche Bank), in Erscheinung treten.
Das ist das wahre Ziel der EZB mit ihrem Überraschungsgeschenk von 1,3 Billionen €: die Rettung des europäischen Bankensystems. Das Gerede von der „Unterstützung der Wirtschaft“ dient nur der öffentlichen Kommunikation.
Durch die Schuldenverlängerung für angeschlagene Banken (Tilgung alter Kredite mit neuen Krediten) sorgt die EZB dafür, dass sich schlechte Angewohnheiten festsetzen, insbesondere bei den Regierungen mit permanentem Haushaltsdefizit, die so keinerlei Grund für etatmäßige Bemühungen sehen. Wozu den Staatshaushalt bereinigen, wenn die EZB die benötigte Liquidität so wohlwollend gewährt? Die tatsächliche Situation der europäischen Großbanken wird sich also nicht verbessern, zum größten Risiko für die Sparer…
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