Hören Sie Folge 1 des Podcasts „À l'Orée de l'Éco“, präsentiert von Tom Benoit:
Im Moment schweigt die EZB. Ein Wort und die Märkte könnten anfangen, ernsthaft das Vertrauen zu verlieren, das sie Frankreich früher oder später nicht mehr entgegenbringen werden.
Selbst Bruno Le Maire, der in den letzten Monaten mit allen Mitteln versuchte, unendlich beruhigend zu wirken - manchmal sogar auf Kosten der Glaubwürdigkeit seines Amtes - wählt seit einer Woche Worte, die der tatsächlichen Lage der öffentlichen Finanzen besser gerecht zu werden scheinen.
Laut dem Wirtschafts- und Finanzminister besteht die Gefahr, dass das öffentliche Defizit auf 5,6 % steigt, verglichen mit ursprünglich vorhergesagten 5,1 %. Der Druck nimmt also zu, oder besser gesagt, die Unordnung breitet sich aus, wird immer mehr angenommen, ausgedrückt, zugegeben... Die Ursache: der Punkt ohne Wiederkehr ist erreicht, und außerdem sind die Verantwortlichen „zurückgetreten“... Aber das ist alles bloße Kommunikation, bestenfalls Information, die zu spät kommt, wie Senf zum Dessert.
Außerdem wussten wir bereits, dass der Staat zu viel und oftmals falsch ausgibt. Es ist nicht mehr genug Geld da, bei über 3,1 Billionen Euro Staatsschulden mit einer durchschnittlichen Laufzeit von acht Jahren, die, wie manche zu Recht sagen würden, nur mittels neuer Schulden zurückgezahlt werden. Das ist nicht wirklich etwas Neues. In den Augen der Märkte scheint sich Frankreich derzeit so gut es geht zu wehren und sich durchzuschlagen. Aber ein Hinweis der Europäischen Zentralbank auf eine potenzielle Unterstützung würde genügen, um die Zinsen unserer Staatsschulden in die Höhe schnellen zu lassen.
Wenn die EZB erklären würde: „Notfalls werden wir da sein, um Frankreich zu unterstützen“, dann würde die Musik plötzlich schrillere Töne anschlagen.
Die Zinsdifferenz zwischen den 10-jährigen Anleihen Frankreichs und Deutschlands liegt weiterhin bei 70 Basispunkten. Ganz einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass der Risikoaufschlag, den Investoren verlangen, um Paris statt Berlin, Frankreich statt Deutschland, Geld zu leihen, 0,7 Prozentpunkte beträgt. Bevor Emmanuel Macron die Auflösung der Nationalversammlung ankündigte, lag dieser Spread bei 50 Basispunkten. Ganz gleich, ob Rassemblement National (RN), die Ultralinke oder das macronistische Zentrum an den Schalthebeln der Macht – die Verlegenheit, die wahre Bedrängnis des Landes, war enthüllt: Frankreich ist nicht nur in einer wirtschaftlich düsteren und haushaltspolitisch mehr als schwierigen Lage, sondern auch zunehmend unregierbar, und das wird immer offensichtlicher. Schlimmer noch, es besteht die Gefahr, dass es langfristig nicht richtig regiert wird. In der Zeit zwischen den Parlamentswahlen war der Spread vorübergehend sogar auf 86 Basispunkte gestiegen.
Während sich nun eine neue Regierung bildet, deren potenzielle Effizienz kaum zu überzeugen scheint, werden sich die Ratingagenturen im Oktober erneut mit der Einstufung Frankreichs beschäftigen. Vor allem Moody's könnte Paris einen negativen Ausblick geben oder seine Note Aa2 gleich um eine Stufe senken und sich damit den Bewertungen von S&P Global Ratings oder Fitch anpassen.
Konkret deutet dies auf ein Szenario hin, in dem sich die Lage Frankreichs am Anleihemarkt durch die höchst wahrscheinliche geldpolitische Lockerung der EZB nicht verbessern wird, denn gleichzeitig ist zu erwarten, dass sich die Käufer der Staatsanleihen in zwei Lager aufteilen werden: die, die sich direkt von den französischen Staatsanleihen abwenden, und jene, die mutiger sind, aber dafür eine höhere Rendite verlangen.
Darüber hinaus hat das Land vielfältige Schwachstellen. Frankreich ist nicht Irland, das nicht weiß, was es mit seinem Haushaltsüberschuss anfangen soll, und auch nicht Italien, dessen Handelsüberschuss eher beruhigend wirkt. Irland nutzt zum einen seine Stärken effizient aus und hat zum anderen eine Besteuerung, die multinationale Unternehmen anzieht – eine Kombination, die das Land von einer möglichen Konjunkturabschwächung schützt. Irland scheint auf ewig sicher zu sein, oder zumindest für eine Zeitdauer, die in der Wirtschaft als Ewigkeit gilt. Man könnte auch sagen, solange die großen amerikanischen Aktienwerte florieren.
Heute hält Irland mittels Staatsfonds einen beeindruckenden Betrag an US-Aktien wie Amazon, Apple, Microsoft, Pfizer...
Näher an uns dran sind die Deutschen, denen es trotz ihrer Rezession viel besser geht als uns. Die Staatsverschuldung in Deutschland liegt bei 65% des BIP, lediglich halb so hoch wie in Frankreich.
Einer der Gründe dafür ist, dass der Binnenhandel jenseits des Rheins nicht so amorph ist wie hier. Bei uns zeigen die Lähmung der französischen Haushalte sowie die Tatsache, dass die Insolvenzen von Unternehmen mittlerer Größe Rekordwerte erreichen, einen Kontext auf, den eine bestimmte Gruppe von Politikern im Allgemeinen nicht gerne anerkennt. Steuererhöhungen können hier nicht helfen, im Gegenteil.
Im Grunde weiß das auch Bruno Le Maire, und obwohl dieser, wie auch Gabriel Attal, Anfang des Jahres gelobt hatte, dass es keine Steuererhöhungen geben würde, sind die Versprechen mittlerweile in weite Ferne gerückt. Noch vor dem Sommer war die Besteuerung von Aktienrückkäufen beschlossene Sache, und was eine ganze Reihe weiterer neuer Steuern betrifft, so ist es, als wären sie bereits in Kraft getreten. Der Staat will neues Geld, er braucht es und er wird es finden. Und wenn dies nicht durch eine Erhöhung der Einkommens- oder Körperschaftssteuer geschieht, wird es durch verschiedene andere Abgaben geschehen. Bereits am 1. Juli 2024, also erst vor wenigen Wochen, wurde die erste Stufe einer Erhöhung der Abgaben für Selbstunternehmer von 21 % auf 26 % umgesetzt, ohne dass dies großes Aufsehen erregte.
Laut Informationen, die aus dem Haushaltsministerium durchsickern oder an die Öffentlichkeit gelangen, könnte die Mehrwertsteuer dem Staat zu mehr Einnahmen verhelfen, möglicherweise durch eine Senkung oder Abschaffung der ermäßigten Steuersätze für bestimmte Sektoren oder Produktkategorien.
Am Montag, dem 9. September, verteidigte Bruno Le Maire seine Absicht, ein Frankreich der Produzenten zu schaffen, statt einem Frankreich der Konsumenten. Der Wirtschafts- und Finanzminister ging dabei sogar so weit, zu gestehen, dass er das Ziel hat, ein Frankreich der „Bauern“ und „Arbeiter“ wiederaufleben zu lassen, wobei er zumindest darauf hinweist, dass dies natürlich zu weniger Einnahmen aus der Mehrwertsteuer führt. Der Unterton ist gut hörbar: Die vergangenen, aktuellen und zukünftigen „Haushaltsunfälle“ sind das Ergebnis einer politischen Linie. Die Realität sieht freilich ganz anders aus. In erster Linie, weil sich Frankreich keineswegs auf dem Weg zurück zum Bauernstand befindet. Das ist vielleicht das Bild, das am meisten verrät.
Auf der Seite der Unternehmen ist es unwahrscheinlich, dass die Konjunktur für höhere Einnahmen sorgt. Dann war da noch der ebenfalls eingefrorene Immobilienmarkt: Aufgrund der Flaute bei Immobilientransaktionen landeten im Jahr 2023 800 Millionen € weniger in der Staatskasse.
Mehrere Faktoren greifen auf diese Weise ineinander und machen die Auflösung des Knotens schwierig und verwirrend. Ein Haushalt für das Jahr 2025 muss verabschiedet werden. Der neue Premierminister sendet mehrdeutige Signale aus, die für einige beruhigend, für andere besorgniserregend sind. Wie so oft ist es eine Frage der Geometrie. Michel Barnier erklärte, er sei „für eine größere Steuergerechtigkeit“. Man muss kein Insider sein, um zu verstehen, was das genau bedeutet. Wie dem auch sei, das Problem ist unangenehm, aber im Grunde genommen recht einfach.
Im Wirtschafts- und Finanzministerium wurden unterdessen bereits mehrere mögliche Einsparungen geplant. Zum jetzigen Zeitpunkt sind sie begrenzt, z. B. die Kürzung der Beiträge für den neu eingerichteten grünen Fonds.
Zum ersten Mal – das war selbst während der Parlamentswahlen nicht passiert – lässt Bruno Le Maire durchblicken, dass er bald nicht mehr Wirtschafts- und Finanzminister sein wird. Insgesamt lautet die Argumentation seiner Verteidigung (wenn es denn eine ist), oder zumindest das Hauptelement seiner vielfältigen Rechtfertigungen wie folgt: „Warum ist Frankreich verschuldet? Weil ich die französische Wirtschaft gerettet habe“. Bruno Le Maire hatte sich vor dem Sommer mit diesen Worten geäußert, und auch im Senat nimmt er sich diese Woche ein Recht auf eher unkonventionelle Formen der Staatsausgaben heraus: „Wir haben geschützt. Es erscheint mir schwierig, mir heute vorzuwerfen, ich hätte zu viel ausgegeben, während Sie mir zuvor sagten, ich würde nicht genug ausgeben“.
Das mittlerweile mehr als abgedroschene Thema der Staatsausgaben im Zusammenhang mit der Coronakrise ist fast schon schrill. Zunächst einmal stimmt die Begründung nicht, und zwar in vielerlei Hinsicht: Die unkonventionelle Geldpolitik, die die jüngste massive Verschuldung Frankreichs ermöglichte, ging der Coronakrise mindestens fünf Jahre voraus, zudem geht es der französischen Wirtschaft nicht gut, und in keinem Fall, in keiner Welt und in keinem Staat konnte eine Volkswirtschaft je durch massive und willkürlich verordnete Liquiditätsspritzen gerettet werden.
Noch beunruhigender ist der Draghi-Bericht, der der Europäischen Kommission am Montag vorgelegt wurde. Alarmierend unter verschiedenen Aspekten, wird darin eine zutiefst negative Bilanz der wirtschaftlichen Lage der Europäischen Union präsentiert: 400 Seiten, 170 Vorschläge von Mario Draghi, um das zu verhindern, was der ehemalige Präsident der EZB als drohende Auflösung der EU begreift. Darin erklärt er:
„Wenn es Europa nicht gelingt, produktiver zu werden, werden wir gezwungen sein, Entscheidungen zu treffen. Wir werden nicht in der Lage sein, gleichzeitig eine führende Rolle bei neuen Technologien zu übernehmen, ein Vorbild bei der Klimaverantwortung und ein unabhängiger Akteur auf der Weltbühne zu werden. Wir werden nicht in der Lage sein, unser Sozialmodell zu finanzieren. Wir werden einige, wenn nicht sogar alle unsere Ambitionen zurückschrauben müssen. Das ist eine existenzielle Herausforderung“, betonte er.
Was man aus den Vorschlägen herauslesen kann, ist eine Neuausrichtung hin zu einer stärker integrierten Europäischen Union, mit anderen Worten zu einem föderalen Europa.
Im Haushalts- und Währungsbereich plädiert Draghi für gemeinsame Schuldenemissionen, im Verteidigungsbereich für die Ernennung eines EU-Verteidigungskommissars durch Ursula Von der Leyen, der insbesondere mit der Verwaltung eines gemeinsamen Budgets für die Verteidigungsindustrie beauftragt wäre, das wiederum weitgehend durch die Europäische Investitionsbank finanziert würde. Das Ultimatum wird deutlich benannt. Andernfalls kündigt Draghi „eine langsame Agonie“ an.
Tatsächlich ist die Situation weitaus komplexer. Was Mario Draghi hier präsentiert, entspricht in jeder Hinsicht dem politischen Kurs, den er selbst seit zwei Jahrzehnten als hochrangiger Politiker und eifriger Erbauer der Europäischen Union verfolgt. Ähnlich wie Ursula Von der Leyen. Seltsamerweise stellt Draghi in seinem Bericht fest, dass es der Wirtschaft der EU-Länder schlechter geht als vor der Gründung der EU als politische Organisation. Er spricht davon, dass das Wachstum, der Handel mit Industriegütern und die produktiven Investitionen seit 2002 gegenüber den USA zurückgegangen sind. Und während einige für mehr Nationalstaat und weniger Europa plädieren, um diesem Rückgang entgegenzuwirken, sagt Draghi im Gegenteil, dass maximaler Einsatz für Europa notwendig sei und kündigt an, dass die EU jährlich 800 Milliarden Euro an Investitionen tätigen müsse. Dabei ist klar, dass diese nicht auf sehr liberale Weise investiert werden.
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