Im August 2019 hatte ich einen Artikel mit dem Titel „Negativzinsen: Wo ist die Grenze? Ein wenig Wirtschaftsfiktion“ geschrieben. Ich habe das einfache Beispiel eines Zinssatzes von -10 % benutzt, um aufzuzeigen, was dies für die verschiedenen Wirtschaftsakteure bedeuten würde (Sparer, Kreditnehmer, Banken, den Staat). Das war eher eine rein theoretische Überlegung, dachte ich damals. Aber die Realität scheint die Fiktion einzuholen, da wir heute schon fast die Hälfte dieses Wertes erreichen!

Damit ist nicht der nominale Zinssatz gemeint, sondern der „reale“, d. h. die Differenz zwischen Zinssatz und Inflation. Wenn sowohl die Zinsen als auch die Inflation fast bei null liegen, wie das in den letzten Jahren der Fall war, besteht kein großer Unterschied zwischen den beiden Werten. Doch mit den Preiserhöhungen der vergangenen Monate sinken die Realzinsen zurück in den Minusbereich (Zinssatz, noch immer bei fast null - Inflationsrate, steigend). In den USA bewegen sie sich nach Angaben von Natixis bei etwa -4 %, in Europa bei -2 %.

 

 

Diese Zahl entspricht dem, was der „klassische“ Sparer mit seinen Anlagen (Lebensversicherung, Sparbuch) jährlich an Kaufkraft verliert. Der Wert des schwer verdienten und zur Seite gelegten Geldes schmilzt dahin. -2 % pro Jahr scheinen nicht viel zu sein, aber in 35 Jahren halbiert sich auf diese Weise der Wert des Ersparten. Bei einer Rate von -4 % geschieht das schon nach 18 Jahren.

Es besteht wenig Hoffnung, dass sich daran etwas ändert: „Die Zentralbanken werden sich nicht trauen, die Nominalzinsen stark anzuheben, selbst wenn die Inflation deutlich zunimmt“, erklärt Natixis, denn dies würde eine staatliche Schuldenkrise auslösen. Die Staaten sind überschuldet, insbesondere nach der Coronakrise. Zudem würde eine Zinserhöhung auch zum Kurseinbruch an den Finanzmärkten (Aktien, Immobilien) führen, mit zerstörerischer Wirkung für die Wirtschaft. Die Preise werden daher weiter steigen, während die Zinsen and der Untergrenze verharren.

Wir befinden uns in einer völlig grotesken Situation, die Spekulationsblasen hervorbringt, Staaten zur Lotterwirtschaft verleitet (sie zahlen ihre Schulden mit entwertetem Geld zurück), die Sparer Schritt für Schritt ruiniert und die Kaufkraft der privaten Haushalte auffrisst. Kurz, eine dysfunktionale Wirtschaft, die nicht mehr in der Lage ist, Wachstum zu generieren. Angesichts der enormen Schulden ist das äußerst beunruhigend.

Die Notenbanker sind in der Sackgasse und dazu verdammt, dem Wertverlust ihrer Währungen tatenlos zuzuschauen, in der Hoffnung, dass die Inflation „temporär“ bleibt. Doch was könnte diese wieder auf einen Wert unter 2 % sinken lassen, wenn nicht das Ende des Gelddruckens und eine Anhebung des Leitzinses? Die Lage wird sich folglich weiter zuspitzen und vielleicht erleben wir eines Tages wirklich Realzinsen von -10 %, wie in meinem fiktiven Beispiel (das entspräche dann einer Halbierung der Kaufkraft in nur sieben Jahren). Das Geld- und Währungssystem wird jedoch zweifellos schon früher implodieren.

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