In der heutigen Zeit erweist sich die genaue Messung der Inflation als besonders wichtig. Die Preise geraten auf eine Weise ins Schleudern, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben. Haushalte und Unternehmen brauchen eine klare Vorstellung der Entwicklungen, um ihr Verhalten entsprechend anpassen zu können. Leider haben die nationalen Statistikbehörden die Angewohnheit, die Preisanstiege kleinzureden, um den Schein zu wahren. Das kommt dem Staat zugute, dessen Ausgaben, vor allem die Sozialausgaben, zum großen Teil an die Preisentwicklung gekoppelt sind. Wir hatten bereits erklärt, wie das Statistikinstitut INSEE in Frankreich die realen Preiserhöhungen beschönigt, indem es die Wohnkosten praktisch außen vorlässt, die im „Warenkorb“ nur 6 % ausmachen, und indem es einen äußerst nebulösen „Qualitätseffekt“ erfindet.

In dieser Zeit der explodierenden Preise verhindert noch ein weiterer Faktor die korrekte Messung: Der Gewichtungseffekt. Der Verbraucherpreisindex basiert auf einem durchschnittlichen Ausgabenprofil, das die Gesamtheit der französischen Haushalte repräsentieren soll, dem sogenannten Gesamtwarenkorb. Man muss jedoch wissen – und dieser subtile Unterschied ist entscheidend – dass die Zusammensetzung und die Gewichtung der verschiedenen Produkte im Warenkorb nur einmal jährlich angepasst werden. Es kommt also zu einem beträchtlichen Verzögerungseffekt. Wie das INSEE in einem Hinweis zur Methodologie erklärt, verwendet es die Gewichtung von „Jahr A-2, bewertet zum Preis im Dezember von Jahr A-1 und komplettiert durch Volumenkorrekturen zwischen A-2 und A-1“ [angewendet, um die Gesundheitskrise zu berücksichtigen, wenn auch unvollkommen]. Wenn es darum geht, einer klaren Antwort auszuweichen, kann man auf unsere Statistikbehörde vertrauen.

Aktuell schnallen die Franzosen den Gürtel enger, um ihre Autos vollzutanken, ihre Gasrechnung oder ihr Heizöl zu bezahlen und für die Stromkosten aufzukommen (die aber dank der Tarifbegrenzung in diesem Jahr nur 4 % steigen werden). Der Posten „Energie“ verteuert sich schlagartig im Budget der Haushalte, doch im Verbraucherpreisindex spiegelt sich das nicht wider, denn der behält die gleiche Gewichtung für diese Komponente bei: 8,86 % im Juli 2022, nach 8,08 % im Juli 2020, 7,48 % im Juli 2017 und 8,68 % im Juli 2012. Damit bewegen wir uns noch immer innerhalb des historischen Rahmens. Gleiches gilt für den Lebensmittelsektor, den die Preissteigerungen ebenfalls mit voller Wucht treffen.

 

 

Die heutige Gewichtung entstammt also der Welt von gestern und entspricht nicht mehr unserer aktuellen Realität. Während der Lockdowns von 2020 haben wir das gleiche Phänomen erlebt: Die Kraftstoffpreise sanken, aber die Haushalte profitierten nicht davon, weil sie in Quarantäne waren oder unter Ausgangssperre standen! Die Inflationsraten lagen derweil auf einem sehr niedrigen Niveau, obwohl die Ausgaben für Lebensmittel stiegen (keine Firmen- oder Schulkantine mehr). Diese Zusatzkosten spiegelten sich nicht im Verbraucherpreisindex wider.

Das zu langsame Anpassen der Gewichtung, und der Verzögerungseffekt, der damit einhergeht, haben sich als sehr nützlich erwiesen, um starke Preiserhöhungen und Inflationsspitzen zu kaschieren, auf Kosten der Verbraucher. Wenn sich der Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise im kommenden Jahr fortsetzt (und das steht zu erwarten), wird das INSEE seine Gewichtung natürlich anpassen müssen (in den Hinterzimmern seiner Büros, denn die Transparenz dieser öffentlichen Einrichtung geht gegen null). Es bleibt jedoch noch Zeit, auch um weitere Listen zu erfinden. Es wäre mit Sicherheit zu viel verlangt, dass das INSEE seinen Warenkorb jeden Monat oder jedes Quartal anpasst…

Die reale Inflationsrate liegt also weit über den offiziellen Verlautbarungen. Wir hatten es schon vermutet, die angebliche aktuelle Inflationsrate von 6 % in Frankreich ist nur ein guter Witz.

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